Meisterwerke aus der Ukraine im Kunstasyl

Die Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin zeigt 60 Gemälde-Highlights aus Odesa im Dialog mit 25 eigenen Werken.
Eine prächtige, einmalige – und ziemlich traurige – Ausstellung.
Ihor Poronyk vertraut keiner dicken Bunkermauer, keiner noch so geheimen Auslagerungsstätte. Sicherheit für die Kunst gibt es für den Direktor des Odesa Museums für Westliche und Östliche Kunst in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 nicht mehr. Deshalb wandte er sich sofort nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs und der Evakuierung der Kunstschätze seines Museums an Ralph Gleis, damals noch Direktor der Alten Nationalgalerie in Berlin, und bat um Hilfe für seine Sammlung.
Mehr als ein Jahr und viele Verträge später kamen 78 Spitzenwerke aus dem ukrainischen Museum nach Berlin, wurden konservatorisch behandelt und bekamen neue Rahmen. Denn in Odesa waren die meisten Bilder aus ihren Rahmen genommen worden, um mehr Platz in den Transportkisten zu haben. Mit diesen neuen, schlichten Rahmen aus dunklen, breiten Holzleisten werden nun 60 Gemälde aus dem ukrainischen Museum zusammen mit 25 Bildern aus dem Bestand der Berliner Gemäldegalerie in einer prächtigen, einmaligen – und ziemlich traurigen – Ausstellung präsentiert.
Eingerichtet und kuratiert haben sie Gemäldegaleriedirektorin Dagmar Hirschfelder und Kuratorin Sabine Lata, denn Ralph Gleis ist mittlerweile Direktor der Albertina in Wien. Das Kuratorinnenteam setzt auf Information und Emotion. Eine Fotowand mit Handybildern vom Einpacken und von der Evakuierung der Kunstwerke im Museumskeller gehört ebenso dazu wie Fotos von den Ausstellungssälen in Odesa. Die wurden auf durchscheinende Vorhänge gedruckt, die in der Ausstellung die Zwischenwände ersetzen. Sie vermitteln einen Eindruck vom Museum, dokumentieren seinen unversehrten Zustand und erzählen von der Fragilität der aktuellen Situation.

Die Restauratorinnen Anja Lindner-Michael und Thuja Seidel beim Entpacken der Werke in Berlin, September 2023, © Sabine Lata
Bei der Präsentation der Bilder aus dem Odesa Museum geht es nicht nur um das Herzeigen besonderer Schätze, sondern auch um eine Verortung der Sammlung im europäischen Sammlungskontext. Dafür treten die Berliner Kunst und die Gemälde aus dem Odesa Museum in einen Dialog, der von Unterschieden und Gemeinsamkeiten erzählt. So besitzt die Berliner Gemäldegalerie die „Beweinung Christi“ nach einem Gemälde von Gerard David aus dem Jahr 1530. Aus Odesa ist ein kleines Bild nach Berlin gekommen, das wie eine Zoomansicht dieser Beweinung wirkt. Es zeigt Maria und ihren toten Sohn in Nahsicht und entstand bereits 1520. Seit den frühen 1920er-Jahren gehört es zum Bestand des Odesa Museums.
Einen direkten Einblick in Vater-Sohn-, Lehrer- Schüler-, Vorgänger-Nachfolger-Beziehungen gibt die gemeinsame Präsentation zweier Stillleben. Das Berliner „Stillleben mit Früchten und Hummer“ von Jan Davidsz. de Heem entstand 1648/49, das „Stillleben mit Hummer“ seines Sohnes Cornelis de Heem aus dem Odesa Museum nur wenig später. Die Gemeinsamkeiten bei Aufbau, Licht, Sujet sind deutlich zu erkennen, die Unterschiede in der Malerei und in der Pinselführung ebenso.

Giovanni Ghisolfi (?), Landschaft, 2. Hälfte 17. Jh., Öl auf Leinwand, 71,2 x 77,3 cm, Odesa, Museum für Westliche und Östliche Kunst, Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu, Berlin / Eigentum des Museums für Westliche und Östliche Kunst Odesa / Christoph Schmidt
Die 60 Gemälde aus dem ukrainischen Museum entstanden zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert und spiegeln das große Interesse an niederländischer, italienischer, westeuropäischer Kunst in der Ukraine. Das verwundert nicht, denn die Sammlung des heute 100 Jahre alten Museums besteht aus verstaatlichten Sammlungen, die nach 1917 von einem sowjetischen Museumsfonds an die Museen des Landes verteilt wurden. Das lässt sich ausführlich im begleitenden Katalog nachlesen, der – konsequent dreisprachig (deutsch, ukrainisch, englisch) – auch ein Bestandskatalog der Gemälde-Highlights geworden ist.
Während die Schätze aus Odesa nun in Berlin und anschließend im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg gezeigt werden und damit in Sicherheit sind, sind die ukrainischen Museumsmitarbeitenden vor Ort tapfer weiter tätig. Sie organisieren Ausstellungen, veranstalten Konzerte, laden zeitgenössische Kunstschaffende ein. Das alles passiert nicht in den leeren Museumssälen, sondern aus Sicherheitsgründen in den Kellerräumen darunter.

Ausstellungsansicht "Von Odesa nach Berlin", Gemäldegalerie 2024, © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
*In diesem Beitrag übernehmen wir die dem Ukrainischem nachempfundene, im Ausstellungstitel verwendete Schreibweise „Odesa“.
VON ODESA* NACH BERLIN
Europäische Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts
STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN, GEMÄLDEGALERIE
bis 22.06.2025

Ausstellungsansicht "Von Odesa nach Berlin", Gemäldegalerie 2024, © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker