Marisa Merz im Kunstmuseum Bern

Das Kunstmuseum Bern zeigt die seit 30 Jahren größte schweizerische Retrospektive von Marisa Merz (Turin 1926– 2019), der einzigen weiblichen Vertreterin der Arte Povera.
Der Titel der Ausstellung „In den Raum hören“ ist ein Zitat der Künstlerin, die lange im Schatten ihres berühmten Ehemannes Mario Merz (1925 Mailand – 2003 Turin) stand, ebenfalls ein Vertreter der Arte Povera. Das Zitat spiegelt ihre poetische, sensible und stille Art wider, einen ganzen Raum mit Kunst zu „füllen“. Ihr Erkunden der verschiedensten Materialien und ihr experimenteller Umgang mit ihnen lassen deren Eigenständigkeit und „Intelligenz“ an den Tag treten.
Die Arbeit in Serien, das repetitive Momentum sowie eine außergewöhnliche Konzentration auf das Hier und Jetzt zeichnen die Arbeitsweise von Merz, einer der führenden Figuren der italienischen Kunstszene der Nachkriegszeit, aus. Die 80 ausgestellten Werke tragen weder Titel, Datum noch Unterschrift. Das ist von der Künstlerin so gewollt, denn für Merz waren ihre Werke einem steten Wandel unterworfen und entzogen sich somit einer finalen Definition.

Marisa Merz, In den Raum hören, Ausstellungsansicht, Kunstmuseum Bern, 31.1.–17.8.25, © Kunstmuseum Bern
Die künstlerische Handschrift von Merz stellt eine inhaltliche Linie dar, die sich durch Skulptur, Installation und Zeichnungen zieht. Viele ihrer Skulpturen bezeichnete die Künstlerin als lebendig, da das oft alltägliche verwendete Material sich in Raum und Zeit stets weiterwandelt. Etliche ihrer Arbeiten entstanden in der Küche, ihrer alltäglichen Umgebung.
Ausgestellt ist auch ihre bekannte „Scarpetta“, ein aus Nylonfäden gestrickter Schuh in der Schuhgröße der Künstlerin. Hier zeigt sich auch der Übergang von ihrem Selbst, einem weiblichen Körper, einem „Innen“ zu einem „Außen“, einer Außenwelt. Diesem Verhältnis vom Selbst zur Welt galt denn auch zeitlebens ihre künstlerische Auseinandersetzung. Die gestrickte „Scarpetta“ trug sie bei Ausstellungen: Sie war ihr Markenzeichen.

Marisa Merz, Scarpetta, 1968, Nylonfaden, 21 x 8 x 6 cm, Merz Collection, Foto: Renato Ghiazza, © 2025, ProLitteris, Zurich
Die Arte Povera, vor allem Ende der 1960er-Jahre in Italien präsent, entstand in einer politisch turbulenten Zeit. So haben auch einige der gezeigten Arbeiten von Merz eine gesellschaftskritische Dimension. Ein inneres Band dieses Œuvre ist die gleichzeitige Präsenz von Gegenpolen: Das Profane trifft auf das Sakrale, das Tote auf das Lebendige, das Innen auf das Außen. Einige der gezeigten Figurenköpfe bilden schon durch ihre Materialität, eine Goldbeschichtung, das Kostbare ab, wohingegen die Wandinstallation gegenüber mit ganz alltäglichen Materialien wie Nylonfäden oder Kupferdraht umgesetzt ist:
Kostbares und Alltägliches reichen sich die Hand.
Merz’ Diskussion der westlichen, vor allem auch italienischen Kunstgeschichte tritt formal durch die verwendeten Techniken an den Tag: Das „Sfumato“ in einer Serie von Zeichnungen referiert auf die italienische Renaissance, der gleichzeitig verwendete Goldstaub hingegen auf die byzantinische Tradition der Ikonenmalerei. Die gleichzeitige Bezugnahme auf eine künstlerische Tradition und ihren eigenen Alltag ist ein Charakteristikum des Merz’schen Werkes.

Marisa Merz, Ohne Titel, o. J., Rohton, Farbe, 13 x 14 x 14 cm, Merz Collection, Foto: Renato Ghiazza, © 2025, ProLitteris, Zurich
Für Merz waren ihre Werke einem steten Wandel unterworfen und entzogen sich somit einer finalen Definition.
Zu sehen sind auch Installationen, die an der Biennale, bei der sie 2013 den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk erhielt, und der documenta gezeigt wurden. Daneben können die Besucher:innen aber auch andere, noch nie gezeigte Arbeiten entdecken. Kuratorin Livia Wermuth gestaltete die Schau trotz der zahlreichen Werke luftig und spiegelt so auch die poetische und sensible Seite der Künstlerin wider.
Jedem der fünf Ausstellungsräume ist ein Gedicht von Merz zugeordnet, welches in das Raumthema einführt. Im „Räume des Sakralen“ beispielsweise: „das auge führt die hand/ (ist das auge der engel?)“. Dabei tragen die Werke oft Gegenpole in sich, hier wären es der sakrale und der profane. Es ist dieser weite, offene Blick auf die Welt, der Merz’ Arbeiten auszeichnet und ihrer poetischen Seite Ausdruck verlieh.

Marisa Merz in Florenz, 1996, Foto: Gianfranco Gorgoni, © Maya Gorgoni
Kunstmuseum Bern
Hodlerstraße 12, 3011 Bern
Schweiz