Leonardo bis Dürer

Mit ihrer Frühjahrsausstellung 2025 eröffnet das ALBERTINA Museum Wien unter Ralph Gleis ein neues Kapitel: Im Zentrum stehen Meisterzeichnungen von Leonardo und Dürer auf farbigen Hintergrund – erstmals in einer grenzüberschreitenden Gegenüberstellung zwischen italienischer und nordeuropäischer Renaissancekunst.
Die Zeichnung in Hell und Dunkel ist „der Anfang und die Pforte zur Malerei“, schrieb der Maler Cennino Cennini in seinem Traktat „Das Buch von der Kunst oder Tractat der Malerei des Cennino Cennini da Colle di Valdelsa“ um 1400. In großer Meisterschaft arbeiteten die Künstler der Renaissance auf farbig grundierten Papieren und erschlossen dadurch ganz neue ästhetische Erfahrungen. Meisterwerke wie die „Halbfigur eines Apostels“ (1493–1495) von Leonardo da Vinci und Albrecht Dürers „Kopf des Laute spielenden Engels“ (1506) oder seine berühmten „Betenden Hände“ (1508) machten die Zeichnung zur ebenbürtigen Gattung der Malerei.
Leonardo da Vincis unaufhörlicher Drang nach Wissen macht ihn bis heute faszinierend.
„Zeichnungen auf farbigem Grund haben eine besondere Wirkung“, so Achim Gnann, Experte für italienische Kunst des 15. bis 19. Jahrhunderts an der Albertina und einer der beiden Kuratoren der Schau „Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund“. „Schon im 14. Jahrhundert hat man Papier grundiert, weil es damals noch uneben war. Diese Grundierung bestand oft aus Knochenmehl mit Leim, wurde manchmal mit Farbpigmenten versetzt. So entstanden farbige Papiere, auf denen man dann mit dunklen Schraffuren Tiefe schaffen oder durch Weißhöhungen Helligkeit betonen konnte“, erklärt er. Die Farbpalette reichte damals von Rot bis zu tiefbraunen, violetten, blauen, grünen oder gelben Tönen.

Leonardo da Vinci, Halbfigur eines Apostels, 1493-1495, Silberstift, Feder in Braun, auf blau grundiertem Papier, ALBERTINA, Wien © ALBERTINA, Wien
Es ist die erste Ausstellung unter der Direktion von Ralph Gleis, die mit fast 150 Exponaten, darunter Arbeiten von Raffael, Tizian, Filippo Lippi, Ugo da Carpi, Hans Baldung Grien und Albrecht Altdorfer einen Einblick in die Entwicklung dieser Technik gibt. Der Fokus liegt auf den titelgebenden Künstlern Leonardo und Dürer, in deren Werken diese Technik zur Meisterschaft vervollkommnet wurde.
Während Dürer-Experte und Co-Kurator Christof Metzger aus der umfangreichen Sammlung der Albertina schöpfen konnte, wurden von Leonardo da Vinci – bis auf das hauseigene Meisterwerk, die Silberstift- und Federzeichnung „Halbfigur eines Apostels“ – Werke aus internationalen Sammlungen wie Windsor Castle, der Hamburger Kunsthalle, dem Louvre, dem Metropolitan Museum oder auch den Uffizien in Florenz entliehen.
Nicht nur die verschiedenfarbigen Grundierungen, die unterschiedlichen Techniken und deren Umsetzung werden anhand der gezeigten Arbeiten erkennbar, auch deren Inhalte werden thematisiert. Da gibt es Studien zu Figuren, Köpfen und einzelnen Körperteilen, aber auch ganze Szenen aus religiösen oder weltlichen Motiven oder Entwürfe für großformatige Gemälde. „Stehender männlicher Akt“ (1503–1506), in Rötel auf rot präpariertem Papier von Leonardo da Vinci, „Betende Hände“ (1508), die Pinselzeichnungen mit weißer Deckfarbe auf blauem Papier von Albrecht Dürer oder die Studie zur „Bridgewater-Madonna“ (1506 –1507) von Raffael, die mit Metallstift und Feder auf bräunlichem Papier gefertigt wurde, sind einige der Ausstellungshighlights.

Hans Baldung gen. Grien (Schwäbisch Gmünd 1484/85–1545 Straßburg), Neujahrsgruß mit drei Hexen, 1514, Feder und Pinsel in Schwarz und weißer Deckfarbe auf braun grundiertem Papier, ALBERTINA, Wien © ALBERTINA, Wien
„Leonardo da Vincis unaufhörlicher Drang nach Wissen macht ihn bis heute faszinierend“, findet Achim Gnann. Leonardo interessierte sich für das Wissenschaftliche, er sezierte, erforschte, hinterfragte. Seine Anatomiezeichnungen zeigen lebendige, pulsierende Körper. In seiner Kunst ist nicht nur Bewegung, sondern auch Emotion und Intention des Handelns erkennbar. „Er hat Wissenschaft und Kunst auf eine Weise verbunden, die bis heute inspirierend ist“, so der Kurator.
Schon im 14. Jahrhundert hat man Papier grundiert, weil es damals noch uneben war. Diese Grundierung bestand oft aus Knochenmehl mit Leim, wurde manchmal mit Farbpigmenten versetzt. So entstanden farbige Papiere, auf denen man dann mit dunklen Schraffuren Tiefe schaffen oder durch Weißhöhungen Helligkeit betonen konnte.
Albrecht Dürer hingegen befasste sich intensiv mit mikroskopisch genauen Detailstudien, die an der Grenze zwischen Zeichnung und Malerei liegen. Einige davon finden sich in Dürers großformatigem Altarbild mit dem Titel „Rosenkranzfest“ (1506) für die Kirche San Bartolomeo in Venedig wieder. Dorthin war Dürer zweimal gereist und dort ließ er sich von der Zeichenkunst der venezianischen Meister auf blauem Papier, der „ carta azzurra“, inspirieren. „Wie sonst nur Leonardos Arbeiten“, so Christof Metzger, „sind Dürers Blätter von höchst artifiziellem Charakter und beweisen, als Schaustücke zum Werkstattfundus gelegt, jedermann das überragende Talent des Künstlers.“ Die Ausstellung in der Albertina macht das für die Besucher:innen von heute wieder erlebbar.

Leonardo da Vinci, Stehender männlicher Akt, 1503–1506, Rötel, Feder in Braun auf rot präpariertem Papier Windsor Castle, London, RCIN 912594, © Royal Collection Enterprises Limited 2024 | Royal Collection Trust
Albertina
Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Österreich
Leonardo – Dürer.
Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund
Bis 9. Juni 2025