LAX Bar bei den Wiener Festwochen

LAX BAR, Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski, 2019, Wiener Festwochen, Wien | Courtesy: the Artists | Foto Credits: Ute Müller

LAX BAR

Laxenburger Straße 4, 1100 Wien
Österreich

KünstlerIn: Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz, Lukas Stopczynski

Titel: LAX BAR

Datum: 29. Mai 2019 – 16. Juni 2019

Fotografie: Courtesy: the Artists Foto Credits: Ute Müller/Elodie Grethen

Notiz: Ein Auftragswerk der Wiener Festwochen


Ausstellungstext:

Abstraktion und Übersetzung

Das Quadrat bildet die Basis eines regelmäßigen geometrischen Rasters. Adolf Loos’ 1908 vollendete „Kärtner Bar“, die erste Bar in Wien nach amerikanischem Vorbild, verwendet das gleichseitige Rechteck um die orthogonale Ausrichtung des Innenraumes zu betonen. In verspiegelten Wänden setzen sich eine Kassettendecke aus Marmor sowie Marmorpfeiler und Balken scheinbar endlos fort und entfalten einen illusionären Raum, der in seiner Huldigung an das Quadrat weit über den 4,40×6m großen Realraum hinausreicht. Sitznischen und Wandverkleidungen aus Mahagoni kontrastieren mit dem Schachbrettmuster des Bodens und der Transparenz der Spiegel; kleine Tische mit opaken, von unten beleuchteten Glasplatten illuminieren das Getränk. Ursprünglich als Stehbar konzipiert, inszeniert sich die Loos Bar, wie sie heute genannt wird, als urbaner Innenraum, als Klassengrenzen überschreitender Ort des Sozialen und gesellschaftliche Bühne im Kleinformat. Adolf Loos ging davon aus, dass Architektur über das Funktionale hinaus Resonanzräume schafft für eine liberale und demokratische Gesellschaft. Die Sprache der Architektur artikulierte sich für ihn folglich nicht nur über eine Abstraktion der Mittel, sondern auch im Rückgriff auf alltägliche Typologien.

Die von Christoph Meier, Ute Müller, Robert Schwarz und Lukas Stopczynski entworfene LAX BAR, eine offenkundige Kopie der Loos Bar, betont diesen Aspekt der sozialen Skulptur, die die Zuschauer*innen zu Akteur*innen macht. Im Gegensatz zum Original ist sie jedoch eine begehbare Skulptur mit temporärem Charakter – und nur fünf Mal offiziell in Betrieb. Die LAX BAR reduziert Architektur auf ihr Eigentliches und setzt auf eine scheinbar einfache, die reine Wirkung des Materials betonende Gestaltung, die gleichzeitig die materielle Opulenz des Loos’schen Vorbildes negiert. Auch die Ortlosigkeit der Bar, ihre eigene Temporalität als „anderer Ort“, wird zelebriert. Nach dem Öffnen der Tür des von außen unscheinbaren Gebäudes entsteht tatsächlich eine Art Alice-im- Wunderland-Effekt: Man betritt einen vollständig weiß gefliesten Raum, der überall sein könnte, anders als die Außenwelt erscheint und doch auf seltsam verschobene Weise Teil von ihr ist. Hinter dem Tresen erwarten die Künstler*innen die Bestellung.

Der französische Künstler Jean-Pierre Raynaud kachelte ganze Häuser komplett mit quadratischen weißen Fliesen. Mit diesem profanen Massenartikel wollte er absolute, von einem rigiden Raster geprägte Räume schaffen. In dem 1974 eröffneten Maison de la Celle-Saint-Cloud in Paris, von ihm bewohntes Haus und Kunstinstallation zugleich, waren Wände, Böden, Decken und feststehende Möbel vollständig mit weißen Keramikfliesen im Maß 15x15cm überzogen. Die schwarzen Fugen im Zwischenraum erzeugten jenes minimalistische Raster, das auch die LAX Bar prägt: ein raum-übergreifendes „all-over“ aus Fliesen und Fugen, das praktisch jeden direkten Bezug zur Außenwelt negiert.

Die LAX BAR, in den Proportionen und der Innenraumgestaltung eine Variation der Loos Bar, nutzt allerdings deren Einsatz von Spiegeln als Grundform des Bildes, um die Besucher*innen stets in die Architektur mit einzuschreiben. Während die seitlichen Spiegel so angebracht sind, dass man sich in ihnen nicht sehen kann, verwandelt die verspiegelte Decke den belebten Raum in ein Mise en abyme, ein endloses Bild im Bild. Die LAX BAR ist bereits die dritte Episode der Beschäftigung der Künstler*innen mit Adolf Loos’ legendärer Bar. In Los Angeles lag die Adaption der Wiener Architekturikone nahe. Ein Stipendium am MAK Center for Art and Architecture in den Mackey Apartments von R.M. Schindler (einem bekannten Loos-Schüler) initiierte die LOS BAR. Der erste „Nachbau“ der Bar entstand 2015 in der Garage im Hinterhof des modernistischen Apartmenthauses im DIY Stil: Marmor wurde zu OSB-Platte, Glas zu Moskitonetz, Holz zu Karton.

2017 entstand in Brüssel im Etablissement d’en face eine weitere Version. Dieses Mal wurde im Untergeschoss des Ausstellungsraumes der „Strohkoffer“ nachgebaut, ein unterhalb der Wiener Loos-Bar gelegener Künstler*innentreffpunkt, der von 1951 bis 1953 aktiv war und seinen Namen nach seiner Wandverkleidung aus Stroh trug. Tagsüber Galerie, abends „Ort der Begegnung“ vor allem für junge Künstler*innen, Autor*innen und Musiker*innen, war der Strohkoffer so etwas wie der erste artist-run-space Wiens. In Brüssel verwandelte sich das Vorbild in eine Bar. Die Wände waren mit Strohmatten bedeckt, wie es auf historischen Aufnahmen zu sehen ist, ansonsten wurde die Innenarchitektur der Loos Bar ins Untergeschoss verschoben und dem Maßstab des Raumes angepasst.

In allen drei Versionen führte die Skalierung des originalen Grundrisses entlang der gegebenen räumlichen Struktur zu Modifikationen mit Auswirkung auf das Gesamtkonzept der Bar. Die LOS BAR in Los Angeles war gleich lang wie die Loos Bar in Wien, aber 33% schmaler und niedriger, was sich in einer im Vergleich zum Original minderwertigen Materialität, aber auch in einer ein Drittel schneller abgespielten Musik äußerte. Der Raum des STROOKOFFER in Brüssel war gleich breit und gleich hoch wie das Original, aber 44% länger. Entsprechend wurde alles gedehnt; alles passierte etwas langsamer. Die Raumdimension der LAX BAR ähnelt jener der Loos Bar, hier ist die Decke jedoch nur annähernd halb so tief und deshalb auch die Musik „tiefer“ – alle Tonhöhen werden im selben Verhältnis nach unten transponiert. Wenn passend zum gekachelten Interieur Bachs Kunst der Fuge gespielt wird, mutiert die LAX BAR mit ihren im Raum verteilten Lautsprechern zu einem surrealen Klangkörper, in dem die Neonröhren unterhalb der Endlosspiegel im Rhythmus der Musik pulsieren.

Auch auf anderer Ebene gehört Musik zur DNA der LAX BAR, die im ehemaligen Ladenlokal Schallplatten Brigitte entstanden ist, einem der ersten, 1959 eröffneten Schallplattenläden Wiens. Bereits erste Skizzen zur Inneneinrichtung des Geschäfts zeigen ein ausgeprägtes Raster, das jetzt dominiert. Auch das Muster aus weißen Kacheln mit schwarzen Fugen taucht bereits in Skizzen des Ladendesigns auf. Selbst die Fassade von Schallplatten Brigitte erinnert in ihrer Gliederung und den Blendsäulen aus Messingblech an das Eingangsportal der Loos Bar mit seinem auf Marmorpfeilern ruhenden Glasmosaik. Und die Leuchtschrift mit dem Namenszug des Ladens besteht aus: Quadraten! Die in das leere Geschäftslokal temporär implementierte LAX BAR beginnt hinter dem ursprünglichen Eingang, da quasi ein Raum in den bestehenden Raum eingezogen wurde, der den Maßen der Loos Bar entspricht. Diese Nähe zum „Vorbild“ auf räumlicher Ebene kompensiert die Abstraktion der Fliesen: Während in Los Angeles und Brüssel noch über zahlreiche Details das Erbe von Adolf Loos evoziert wurde, setzt die LAX BAR konsequent auf konzeptionellen Minimalismus. Und auf einen die Eleganz des Loos’schen Stils konterkarierenden Twist. Denn dort, wo sich in der Kärnter Bar der Eingang befindet, ist in der LAX BAR der Durchgang zu den Außentoiletten. Der dem Original entsprechende Eingang erfolgt von der Toilette aus. Auch profane Assoziation zum Fliesen- Fugen-Interieur (Ausnüchterungszelle, Psychiatrie, Fleischerei) konterkarieren die den Aufbruch in die Moderne verkündende Noblesse der Loos Bar. Der Luxus der LAX BAR liegt schlicht in der Zeit: nach fünf Wochen ist alles vorbei.

Der Wiener Architekt Hermann Czech schrieb1970 in Der Loos-Gedanke, dass dessen Absage an das Ornament sich vor allem gegen jene Formen richtet, „die nicht Gedanke sind“1. Der abstrakte Gedanke findet keine Übersetzung in eine abstrakte Form, sondern aus ihm heraus entwickelt sich eine spezifische Lösung. Darin liegt vielleicht die größte Nähe der LAX BAR zu der von Loos: Das Konzept eines Kunstwerks als sozialem Ort in das Format eines Festivals zu übersetzen – über den Weg einer skulpturalen Intervention, die den Gedanken der sozialen Plastik noch einmal anders denkt.

Von Vanessa Müller


1 Hermann Czech: Der Loos-Gedanke (1970), in: Zur Abwechslung. Ausgewählte Schriften zur Architektur, Wien 1996. Vgl. auch Eva Kuß, Das Konkrete als der besondere Fall bei Adolf Loos und Hermann Czech, in: Das Konkrete und die Architektur, 14. Jg., Heft 1, Oktober 2009 Biografien