Kunst zwischen den Regeln

Die Ausstellung „Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910–1950“ versucht sich an einer Neuerzählung der Moderne – nicht nur in Hinblick auf Geschlechterkategorien. Ein anspruchsvolles Unterfangen mit vielen bemerkenswerten Positionen.
Der Erfolg war riesig: Als die junge Kunsthistorikerin Katy Hessel ihre „Story of Art Without Men“ publizierte, fand das Buch großes Echo. Nicht, dass sie als Erste eine männerlose Kunstgeschichte geschrieben hätte – beispielsweise haben Whitney Chadwick („Women, Art and Society“, erschienen 1990) und Clarisse Nicoïdski („Une histoire des femmes peintres des origines à nos jours“, 1994) dies schon lange zuvor getan. Doch offenbar ist das Interesse an weiblicher Kunstgeschichte größer denn je, wie das Buch von Hessel zeigt, die nun für das Belvedere einen Women-only-Audioguide gestaltete.
Die Kunstgeschichte hat Kästchen geschaffen; in Wirklichkeit hat sich die künstlerische Produktion aber nicht an diese Raster gehalten.
Überhaupt macht sich das Haus seit der Direktion von Stella Rollig um die Neubewertung weiblicher und diverser Positionen verdient. In Wien hat es damit unter den Bundesmuseen die Nase vorn. An den Sammlungsbeständen selbst lässt sich freilich nur langsam etwas ändern. Almuth Spiegler, Leiterin des Kulturressorts „Die Presse“, fragte anlässlich des Internationalen Frauentags 2025 nach, wie hoch der Anteil an Kunst von Frauen in den Dauerausstellungen sei. Das Ergebnis: 36 Künstlerinnen und 271 Künstler, vom späten 13. Jahrhundert bis in die 1970er-Jahre, sind vertreten. Zu tun gibt es also noch immer genug.

Claude Cahun, I Am in Training Don’t Kiss Me, 1927 (2024), Jersey Heritage Collections
Nach vielen Ausstellungen zu weiblichem Kunstschaffen – der mittlerweile fast schon legendären „Stadt der Frauen“ sowie Soloausstellungen wichtiger Künstlerinnen wie Renate Bertlmann, Louise Bourgeois und Elena Luksch-Makowsky – präsentiert das Belvedere nun erneut eine Gruppenausstellung von Künstlerinnen. Der Bogen ist weit gefasst, es geht um die Moderne.
Es sind Bild gewordene Akte der Emanzipation, die diese Ausstellung vereint.
Kuratiert wurde „Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910–1950“ von Stephanie Auer (Belvedere), Kathrin Elvers-Švamberk sowie Meike Lander (Saarlandmuseum) und Evelien Scheltinga (Museum Arnhem).

Ausstellungsansicht "Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910–1950", Unteres Belvedere, Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien
Die Kooperation zwischen dem Belvedere, dem Museum Arnhem in den Niederlanden und dem Saarlandmuseum in Saarbrücken geht von den Sammlungen der drei beteiligten Häuser aus, ergänzt diese aber: Insgesamt werden 60 Künstlerinnen aus 20 Ländern gezeigt. Die Ausstellung versucht dabei, die allzu eng gefassten Kategorien und kunsthistorischen Ismen zu durchbrechen.
Europa gehört Picasso, Matisse, Braque und vielen anderen. Indien gehört mir allein.
Die präsentierten Künstlerinnen haben unterschiedlichen Bekanntheitsgrad: So wurden etwa die Russinnen Ljubow Popowa und Alexandra Exter in Wien im Bank Austria Kunstforum bereits 2017 in einer wunderbaren Schau zu den Künstler:innenpaaren der russischen Avantgarde vorgestellt; Sonia Delaunay-Terk, Claude Cahun, Leonor Fini, Tamara de Lempicka, Jeanne Mammen, Alice Neel und Germaine Richier zählen ebenso längst zum Kanon wie Hannah Höch, der das Belvedere 2024 eine große Schau widmete. Auch Friedl Dicker-Brandeis und Erika Giovanna Klien braucht man in Wien nicht mehr groß vorzustellen – in Saarbrücken und Arnhem aber durchaus.
Doch der Anspruch des Projekts besteht ohnehin nicht darin, „Wiederentdeckungen“ hervorzuzaubern, sondern eine andere Geschichte der Moderne zu erzählen.
Weiterlesen in unserer Sommerausgabe PARNASS 02/2025.

Amrita Sher-Gil, Selbstporträt als Tahitianerin, 1934, Courtesy Kiran Nadar Museum, Neu Delhi © steeve-x-art / Alamy Stock Foto