Die Fotografie und ihr Bild

Konflikte fotografischer Wirklichkeit

Kunstszene
Billie Clarken, Acoustic Hallucinations, 2022, aus der Serie "ChewingTongue", Extroverted Images, FOTOHOF 2025, Courtesy: Die Künstlerin und Galerie Brugger

Was eigentlich ist ein fotografisches Bild – und was unterscheidet es von anderen Bildern?
Der Fotohof, eine Institution, die wie keine andere in Salzburg für zeitgenössische Fotografie steht, widmet sich in seiner aktuellen Ausstellung dieser grundlegenden Frage. Dabei werden fotografische Prozesse, ihre materiellen Grundlagen und Formen der spezifischen Medialität hinterfragt.


 

Auf der Spur des Realen

In einer vielschichtigen, formal wie theoretisch dichten Schau wird in der Ausstellung „Extroverted Images“ der Begriff der Fotografie seziert, gedehnt und erweitert – bis an die Ränder seiner medialen Identität. Fast bildstürmerisch begegnen die gezeigten Arbeiten dem fotografischen Bild: Sie werden KI-generiert und geloopt, mit Kerzenwachs blind gemacht, von Lanzen aus Red-Bull-Dosen durchstoßen und sogar verflüssigt. Die Ausstellung reagiert auf eine Gegenwart, in der Fotografie als technisches Verfahren zunehmend unkenntlich wird – zwischen absurder Bilderflut, Deepfakes und AI-generierten Simulationen, die sich als „Fotografie“ ausgeben. 

Was beinahe klischeehaft klingt, wird durch die Präzision und Tiefe der Arbeiten von Billie Clarken, Nikita Diakur, Clemens Fischer, Alex Grein und Lucas Leffler als produktive Praxis erfahrbar und verdeutlicht die notwendige Aktualisierung des Fotografiebegriffs.
Aus einem Bewusstsein historischer Bildlichkeit heraus agieren die Künstler:innen mit einem Gespür für die mediale Spezifik – oder eher: Unspezifik – der Fotografie und hinterfragen deren technische, historische und materielle Bedingungen. 

Lucas Leffler adressiert den materiellen Bruch in der Geschichte der Fotografie beispielsweise, indem er ein Still aus einem YouTube-Video von der Sprengung eines Kodak-Werks auf Smartphone-Screens im historischen Nasskollodiumverfahren abbildet. Seine Arbeit verweist auf vergangene wie gegenwärtige technologische Umbrüche, aber auch auf das Fortwirken industrieller Standards, die das Fotografische stets geprägt haben.

Lucas Leffler, Ekta #10 – Hole16, 2024, Lightbox mit 16 4×5“ Farbnegativfilmen, 40 x 50 x 7 cm, Extroverted Images, FOTOHOF 2025

Lucas Leffler, Ekta #10 – Hole16, 2024, Lightbox mit 16 4×5“ Farbnegativfilmen, 40 x 50 x 7 cm, Extroverted Images, FOTOHOF 2025

Spätestens wenn ein Bild als „Fotografie“ bezeichnet wird, steht es in einem Verhältnis zur Wirklichkeit.

Niklas Koschel

Auch Billie Clarkens Arbeiten kreisen um das materielle Erbe einer zunehmend immateriellen Fotografie. Indem sie sogenannte „Cursed Images“ – kontextlose, seltsam verstörende Fundstücke aus den Untiefen sozialer Netzwerke – auf mit der Zeit porös werdendem Schaumstoff druckt und in VHS-Hüllen konserviert, überführt sie das Internetbild in eine, wenn auch prekäre, Materialität. Durch die radikale Entkopplung von Quelle und Trägermaterial entsteht zudem ein Bildraum, der keinen Rückbindung mehr auf das Reale zulässt. Das fotografische Bild fungiert hier lediglich als Motiv, nicht mehr als Referenz – und leitet über zu einem zentralen Diskurs der Fotografie.

Denn spätestens wenn ein Bild als „Fotografie“ bezeichnet wird, steht es in einem Verhältnis zur Wirklichkeit. Der Diskurs um Fotografie wurde lange Zeit im Licht ihrer möglichen Referentialität geführt – also ihres physikalisch-chemischen, kausalen Verhältnisses zur Wirklichkeit. Die Fotografie gilt demnach gemeinhin als Spur des Realen – als technisch produziertes Zeichen eines „es-ist-so-gewesen, wie es der oft zitierte Roland Barthes formulierte. Oder als sich selbst zeichnende Natur, wie Louis Daguerre, einer der Mitstreiter um die „Erfindung“ der Fotografie, es einst ausdrückte.

Billie Clarken, Acoustic Hallucinations, 2022, aus der Serie "ChewingTongue", Extroverted Images, FOTOHOF 2025, Courtesy: Die Künstlerin und Galerie Brugger

Billie Clarken, Acoustic Hallucinations, 2022, aus der Serie "ChewingTongue", Extroverted Images, FOTOHOF 2025, Courtesy: Die Künstlerin und Galerie Brugger

Gerade in der digitalen Fotografie, in der Licht nur noch in elektrische Spannungswerte übersetzt wird, stellt sich die Frage, ob diese physikalische Verbindung zur Realität überhaupt noch besteht. Ist Fotografie heute nur noch eine entkoppelte Bildmaschine, vor allem unter dem Einfluss digitaler Manipulation? Doch auch analoge Fotografie war nie frei von bildoptimierenden und verändernden Eingriffen. KI-generierte Bilder schließlich noch als Fotografien zu bezeichnen, wirkt fast anmaßend – wenn nicht gar blasphemisch. Es nicht zu tun, löst jedoch nicht das Problem ihrer qualitativen Einordnung. Genau an dieser verzwickten Stelle, einer fast metaphysischen Suche nach dem Begriff der Fotografie, setzen die Kurator:innen Valentin Backhaus, Mateusz Dworczyk und Katrin Froschauer an – und zeigen überzeugend, dass der Fotografiebegriff weitaus flexibler ist, als häufig angenommen: Was eine Fotografie ausmacht, so scheint ihre These, geht über die bloße technische Disposition hinaus.

Nikita Diakur, backflip, 2022, Film (HD, 12:13 min.), Extroverted Images, FOTOHOF 2025

Nikita Diakur, backflip, 2022, Film (HD, 12:13 min.), Extroverted Images, FOTOHOF 2025

Temporär konserviert

Am eindrücklichsten thematisiert die Arbeit von Alex Grein die Flüchtigkeit – auch fotografierter – Wirklichkeit sowie Fragen des Speicherns, Archivierens und der Entstehung von Bildern als Informationsträger. Zwei große, zentral im Raum platzierte Edelstahlwannen, die an Herstellungsprozesse der analogen Fotografie erinnern, enthalten auf Handystativen montierte, in Eisblöcken eingefrorene Fotografien. Diese tauen im Verlauf der Ausstellung langsam auf, tropfen in die Wannen und werden durch neue, im Kühlschrank gelagerte Eisblöcke ersetzt. Das schmelzende Bild fällt in sich zusammen – zu einer filzigen, schlackigen Masse aus papiernem Trägermaterial, Pigment und Wasser. Es verliert jede Form des Abbildhaften. Wie vergessene, unter Schnappschüssen konservierte, aber nicht mehr zuweisbare Erinnerungen, liegen die Überreste bildlich festgehaltener Wirklichkeit ohne erkennbare Struktur in der Wanne.

Die Aussage der Arbeit auf die bloße Vergänglichkeit der Fotografien zu reduzieren, würde zu kurz greifen. Denn die physikalisch-chemische Einschreibung, die die Wirklichkeitswiedergabe des fotografischen Bildes bekräftigt, hat durchaus stattgefunden. Die fotografische Information ist nicht verschwunden – sie hat lediglich ihren Aggregatzustand verändert. Man steht vor einem matschigen Knäuel, einem faserigen Etwas, das vor wenigen Minuten noch ein erkennbares Abbild einer Begebenheit war – eine tatsächlich vermittelte Information, die, obwohl noch vorhanden, in ihrer neuen Form nicht mehr lesbar ist.
Damit zeigt Greins Arbeit auf eindrückliche Weise, was die Wahrheit eines fotografischen Bildes ausmacht: Die Fotografie funktioniert nicht primär über ihren Spurencharakter, nicht über den kausalen Zusammenhang von Zeichen und Bezeichnetem, sondern über ihre bildhafte Ähnlichkeit.


Vielleicht ist das die gar nicht so unbefriedigende Antwort der Ausstellung auf die Frage, was Fotografie sei: Am Ende (nur) ein weiteres, ein anderes Bild – eben eines mit einer besonders komplexen Geschichte.

Alex Grein, Speicher, 2021, Prints, Eisblöcke, Tablet- und Smartphone-Halterungen, Edelstahl-Auffangwannen, Edelstahl-Gestelle, Kanister, Courtesy: Die Künstlerin und Galerie Gisela Clement, Foto: Mareike Tocha

Alex Grein, Speicher, 2021, Prints, Eisblöcke, Tablet- und Smartphone-Halterungen, Edelstahl-Auffangwannen, Edelstahl-Gestelle, Kanister, Courtesy: Die Künstlerin und Galerie Gisela Clement, Foto: Mareike Tocha

Extroverted Images

bis 31. Mai 2025

Fotohof, Salzburg

Clemens Fischer, Filmstill, aus der Serie Coexistence, Lausanne, 2023, Extroverted Images, FOTOHOF 2025

Clemens Fischer, Filmstill, aus der Serie Coexistence, Lausanne, 2023, Extroverted Images, FOTOHOF 2025