Shu Lea Cheang in München

Ki$$ Ki$$ Kill Kill

Shu Lea Cheang, Kiss Kiss Kill Kill, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2025, Foto: Milena Wojhan

Shu Lea Cheang scheint weit entfernt von einer „survey show“, wenn selbst alte Arbeiten heute ihre Relevanz zeigen.


Der Anspruch einer Retrospektive blitzt im Eingang durch: Im Wechsel blinkt „kiss kiss“ oder „kill kill“ als Neon-Schriftzug und erinnert an die Bar in Cheangs Debütfilm von 1994. Der komplett in rotes Licht getauchte Raum präsentiert aber auch die bei ihr so präsente Körperlichkeit: mit der, vom brutalen Mord an einem Trans-Mann, ausgehenden Arbeit „Brandon“ (1998/99) und „UKI“ (2018/23), das einen Virus zur Körpermodifizierung mit in einer Projektion umhertreibenden Blutplättchen imaginiert. Ordnete sich das Debüt nicht in die – ästhetisch sehr nahe – Genealogie des New Yorker Independent-Films der 1980er- und 90er-Jahre ein, greifen Labels wie Net-Artist zu kurz, wenn Cheang Datenmüll und Abfall zu Referenzen macht.

Die Relevanz der Ausstellung zeigt sich durch immer neue Verbindungen inmitten von Schrott.

Maximilian Lehner

Staubsaugerrobotern ähnliche Gefährte werfen entlang eines Routennetzes willkürlich leere Essensboxen, die den Geruch des Essens an sich tragen. Was wie Slapstick wirkt, skizziert eine dystopische Nahrungsknappheit im Jahr 2030 und kritisiert implizit die Prekarität derer, die Essen zustellen. „Wir haben in München Fahrer:innen – viele davon Migrant:innen – befragt, welche Speisen aus ihrer Heimat ihnen am meisten fehlen, und sechs Tagesgerichte ausgewählt“, beschreibt die Künstlerin den lokalen Bezug dieser Installation. Dass sich ein Liefersystem nur selbst versorgt, während die Menschen sich nach dem gerochenen Essen sehnen, erinnert an eine Erzählung des renommierten Science-Fiction-Autors Philipp K. Dick, in der sich machtvolle Produktionsmaschinen eigene Ersatzteile zustellen und die Bedürfnisse der Menschheit unsichtbar werden.

Shu Lea Cheang, Kiss Kiss Kill Kill, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2025, Foto: Milena Wojhan

Shu Lea Cheang, Kiss Kiss Kill Kill, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2025, Foto: Milena Wojhan

Cheang gibt keine Antwort, was mit dem Müll zu tun sei. Lieber lässt sie einen Pilz auf all dem wachsen und überlässt es den Besucher:innen, eine weitere Referenz zu entschlüsseln.

Maximilian Lehner

Diese Hierarchie wird auch im nächsten Raum zum Thema. Das auf zwei Leinwandseiten in der Mitte projizierte Video „Uttering“ (2023) morpht zwischen Hautfarben, Gesichts- und Körperformen. Cheang bezieht sich auf die Probleme von KI, etwa schwarze Menschen zu erkennen. Wenn rundum Sockel mit Computertastaturen und deren Teilen angeordnet sind, fällt auf, wie viel stärker die Entsorgung dieser überflüssigen Geräte reguliert ist als KI-Überwachungstechnologie. Die Person im Video bleibt trotz jeder Verwandlung mit Schnullern geknebelt, bis ein Schwall an Einzeltasten eines Computer-Keyboards sich synchron in Video und Raum ergießt. Die von Kinderstimmen gesprochenen Wörter, wenn eine der alten Tasten wieder auf das Tastaturlayout gesteckt wird, sind von KIs gefilterte Begriffe. Die Relevanz der Ausstellung zeigt sich durch immer neue Verbindungen inmitten von Schrott.

Im letzten Raum werden obsolete Mailinglisten aus der Anfangszeit des Internets, in denen gelegentlich revolutionäre Strategien diskutiert werden, um ein ausgebranntes und bespraytes Autowrack projiziert. Werden sie gar vom Überrest des Protests auf der Straße eingeholt? Cheang gibt keine Antwort, was mit dem Müll zu tun sei. Lieber lässt sie einen Pilz auf all dem wachsen und überlässt es den Besucher:innen, eine weitere Referenz zu entschlüsseln.

Shu Lea Cheang, Kiss Kiss Kill Kill, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2025, Foto: Milena Wojhan

Shu Lea Cheang, Kiss Kiss Kill Kill, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2025, Foto: Milena Wojhan

Haus der Kunst München

Prinzregentenstraße 1, 80538 München
Deutschland

Shu Lea Cheang. Kiss Kiss Kill Kill

bis 03.08.25

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