Julian-Jakob Kneer bei Limbo, Berlin

Julian-Jakob Kneer, frottage, 2019, Eichenholz, Blei, Wachs

Limbo

 Kurfürstendamm/Cicerostr. 1, 10709 Berlin
Deutschland

KünstlerIn: Julian-Jakob Kneer

Titel: frottage

Datum: 29. Juni – 18. August 2019

Fotografie:  Copyright 2019 Julian-Jakob Kneer Alle Rechte vorbehalten. Courtesy der Künstler und Limbo, Berlin.

Ausstellungstext:

Im verschwenderisch-schwelgenden Exzess des Rokoko mit seinen launenhaft geschwungenen, filigranen und doch herrisch wuchernden Formen frisst sich das Ornament mit rücksichtsloser Leichtigkeit in das Bild, seinen eigentlichen Widerspruch ersetzend, hinein. Unausweichlich scheint die Emanzipation von Wirt und Funktion, die das Ornament als Beiwerk einst lebensfähig machten, in der eigenen Selbstaufhebung münden zu müssen. Wo es sein Dasein als solches abstreift, mag das Ornament jedoch zugleich zu einer befreiten Leerform mit unentdecktem Potenzial finden.

Hinter Glas schwillt eben jene Leerform in unserer Gegenwart, nunmehr der Logik von Zierrat und Symbolisierung entbunden, an. Entleert und sublimiert zugleich, scheint sich die Form dabei vollends selbstgenügsam einerseits in die Verheißung des L’art pour l’art und andererseits in komplexe Ambivalenzen hineinzudrehen. Während ihre manieristisch geschnitzte Erscheinung würdevoll dem Kunsthandwerk huldigt, lässt sich inmitten der collagierten Exzentrik auch etwas von der mitunter beißenden Nüchternheit vermuten, mit der sich Appropriation ästhetisches Material zuweilen einverleibt. Hierdurch oszilliert die Form in irritierender Mehrdeutigkeit zwischen den Behauptungen des konservierten Relikts und dessen Aneignung.

Mithilfe des grafischen Verfahrens der Frottage wurden in viktorianischer Zeit als besonders schön geltende Verzierungen von Grabplatten konserviert, indem man ihre Oberflächenstruktur auf Papier mit Zeichenwerkzeugen durchrieb. Als Technik der Aneignung fetischisiert sie etwas Vorhandenes und dessen Spur als zu transformierendes Material. In Bezug auf einen stilpluralistischen Historismus und seine Rhetorik, die ebenso wie die des Ornaments in der Moderne in Verruf geriet, geben sich mit Blick auf das hier von der Außenwelt isolierte Objekt nicht zuletzt auch Spannungsverhältnisse zu erkennen, die sich auf Dynamiken von Wertzuschreibung und -transformation beziehen lassen. Für einen Moment scheint sich eine der Determinierung entwindende Form – in gleicher Weise vertraut und fremd – zu offenbaren. Ihr stehen sofort, und immer schon, neue Wünsche und Begierden gegenüber, die lüstern auf ihre anreichernde Besetzung drängen.

- Viktor Hömpler