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Johannes Tassilo Walter bei Nir Altmann, München

Johannes Tassilo Walter, WEIGERT SINN, 2018, Ausstellungsansicht, Nir Altman Galerie

Nir Altman

Ringseisstraße 4 RGB, 80337 München
Deutschland

KünstlerIn: Johannes Tassilo Walter

Titel: Weigert Sinn

Datum: 7. September - 13. Oktober 2018

Fotografie: Courtesy der Künstler und Nir Altman Galerie | Foto: Dirk Tacke

Pressetext:

Der Maler redet ungern über das, was er tut. Das ist ein Klischee, und doch kein Manko – sind doch seine Werke Träger von vielsagenden Prozessen: Schwarze Tusche wird mit breitem Pinsel aufs Papier aufgetragen und wieder abgespült, wodurch ein Gutteil der glänzenden Schicht im Ausguss landet und nur durch den Wasserdruck ins Papier gepresste oder eingetrocknete Reste als Spuren der malerischen Geste stehen bleiben. Es geht ums Markieren und Übermalen, Verbergen und Zeigen. Die Arbeit im Atelier ist zentral für Johannes Tassilo Walter: Allein der Umgang mit aufgespanntem Papier in dieser Größe und Wasser erfordert viel Materialkenntnis und Erfahrung. Auch die auf allen Bildern wiederholte Geste ist augenscheinlich kein eruptiver Ausbruch, sondern Resultat intensiver Beschäftigung. Walter nennt sie „dog“: eine schlichte Form, die er aus seinem Vokabular extrahiert und gezielt zum Träger des Signums "malerische Geste" gemacht hat. Im „dog“ stehen Zufall und Wiederholung in einem ausbalancierten Verhältnis; zugleich markieren ein „dog“ oder auch nur „half a dog“ fortan die Stellen im Papier, wo dieses seine gespannte Flächigkeit aufgibt und sich als weicher und getreuer Speicher selbst der minimalsten malerischen Vorkommnisse zeigt. Wer möchte, kann in den Verästelungen der Tusche fantastische Landschaften entdecken, wie sie sich in polierten Steinflächen zeigen, die zur Zeit der Wunderkammern als Kunstwerke einer überpersönlich schaffenden natura pictrix die Einbildungskraft ihrer Besitzer nähren sollten. So ist auch Walters Vorgehen nicht nur Ergebnis des schrittweisen Erforschens der zeichnerischen Mittel unter selbstgewählten engen Grenzen, sondern weist möglicherweise durch die Abstraktion zugleich den Weg zu eben jener beinahe phobisch zur Seite geschobenen Welthaltigkeit, die sich, ganz wie die Analyse es will, gerade dort ihren Weg bahnt, wo(hin) man sie am wenigsten steuert. Die Geste selbst, ihre Spur in der Fläche, die Eigenschaften des Materials und dessen Herkunfts- und Verwendungsgeschichte geben genug Anhaltspunkte zur Beschreibung eines Werks, das seinen Urheber an dieser Stelle nonchalant links liegen lässt.

Hierbei könnte man stehen bleiben – doch hätte man die Rechnung ohne Walter gemacht, der zwei unterschiedliche Wege gewählt hat, um sich als Künstler durch die Hintertür wieder ins Bild zu bringen. Der erste Weg führt vom Studio in die Galerie und betrifft die Anordnung der Bilder und Blätter im Raum. Walter reagiert mit Bedacht auf die räumlichen Vorgaben, und nutzt das, was vordem autonomes Bild war, als dekoratives Raumelement mit subtilem Störpotential. So überlappt sein größtes Hochformat die definierte Hängefläche, schiebt sich über die Enden der Einbauwand hinaus und nimmt bei aller Leichtigkeit gerne eine Unwucht im Raum als Gegengewicht in Kauf: Der Galerieraum wird nach den Regeln einer Kunst bespielt, die sich parasitär ihrer Umgebung anzupassen weiß. Überraschender noch als durch diese kalkulierte räumliche Setzung ist der zweite Einbruch des Künstlers in die Doppelbödigkeit seiner Werke, die er mit den Mitteln der Parodie torpediert. Drei im Eingangsbereich platzierte Ausstellungsplakate zitieren ein mit starken Ideologien besetztes Konstrukt: Sie zeigen den Künstler im Schaffensprozess im Atelier. Dieses Sujet ist in drei Posen ausformuliert, die den Künstler spärlich bekleidet vor seinem Werk bei der Arbeit zeigen. Das über die Motive gesetzte "Weigert Sinn" fügt sich dabei nahtlos ins Narrativ des von inneren Kräften bewegten Künstlersubjekts, das ausführt, was ihm die Notwendigkeit gebietet, ohne sich und anderen Rechenschaft über sein Tun ablegen zu können. Und doch markiert ganz augenscheinlich eine weiße Feinrippunterhose die Stelle, an der Kippenberg‘sche Ironie ins Bild sickert und der Künstlermythos demaskiert wird: Indem Walter von Pathos zur Parodie wechselt und sich selber augenzwinkernd auf die Schippe nimmt, schüttelt er den ideologischen Ballast der großen Geste ab und persifliert sie. Die Entscheidung, ob dieses Vorgehen die formale Integrität der ausgestellten Werke beeinträchtigt oder sie noch steigert, überlässt er dabei ganz nonchalant uns.

- Tina Schulz