Hermann Nitsch. Zeichnungen
Mit Hermann Nitsch-Zeichnungen präsentiert das BRUSEUM in Graz eine sehenswerte und besondere Ausstellung. Man meint das Werk des Künstlers zu kennen, doch mit der von Roman Grabner kuratierten Schau wird dieses auf Basis seiner Zeichnungen aus einer anderen Perspektive heraus betrachtet und dokumentiert das großes grafische Talent des Aktionskünstlers.
Von der Kreuzigung zur Kritzelei: Hermann Nitschs zeichnerische Auseinandersetzung mit Leid und Transformation
Die Zeichnungen von Hermann Nitsch sind ein Werkaspekt, der angesichts der Opulenz seiner Aktionen und der Dimension seiner Schüttbilder oft nicht die notwendige Beachtung fand. Doch noch bevor Nitsch 1957 an den Ideen zu seinem Orgien Mysterien Theater zu arbeiten begann, setzte er sich bereits zeichnerisch mit den Themen Leid, Kreuzigung, Tod und Auferstehung auseinander. Und das anhand feinster figurativer Zeichnungen, in denen eine Referenz zu Rembrandts Kreuzigungsbildern erkennbar ist. Sie bilden den Einstieg in die Ausstellung, ebenso wie die – formal vollkommen gegensätzlich – spontan hingesetzten, informellen Strichzeichnungen. Diese „Kritzel-Zeichnungen“ so Roman Grabner, beginnt er nach Beendigung der figurativen Phase und wohl auch unter dem Eindruck der damals reüssierenden Malerei des Informell.
Sie bilden aber auch bereits eine Ausgangsbasis für das Gedankengebäude des Künstlers zu seinem Orgien Mysterien Theater. Schrift und Malerei wechselten sich dabei ab – Nitsch suchte, so Roman Grabner in diesen
Er setzte sich dabei mit vielen Themen und Formalismen auseinander von Religion, Mystik und der „Écriture automatique“. Diese informelle Geste zieht sich jedoch, wenngleich in der Folge überlagert, von architektonischen und organischen Motiven durch sein Werk, wie das die Ausstellung auch anschaulich dokumentiert.
Ab den 1960er-Jahren zeichnete Nitsch fantastische, unterirdische Architekturanlagen, in denen er Räume für sein Orgien-Mysterien-Theater entwirft, bis hin zu Ställen für die Tiere und Schlachthäuser. Präzise gezeichnete und großteils akkurat beschriftete architektonische Gebäude, die in der Folge zum Teil zu Körperformen oder einzelne Organe mutieren. Nitsch verschmilzt das „Naturereignis Mensch“ zeichnerisch mit wuchernden Architekturen und adaptiert dabei nicht selten christliche Ikonografien.
Das gesamte Werk von Nitsch versteht sich als ein Hinabsteigen in die Tiefen und so waren auch diese Gebäude im Untergrund geplant. Zur gleichen Zeit entstehen seine ersten Malaktionen. Aber auch hier skizziert er die räumliche Situation, wie anschaulich zu sehen in den großen Papierbahnen der 16. Aktion für Stan Brakhage, benannt zu Ehren des 1965 bei der Aktion in Nitschs damaligem Atelier im Keller des Gemeindebaues in der Wiener Brünner Straße anwesenden amerikanischen Experimentalfilmemachers (1933–2003).
Nitschs Architekturvisionen und ihr Einfluss auf das Orgien-Mysterien-Theater
Die große Vielfalt an Architekturzeichnungen des Künstlers, die sein Schaffen durchziehen, geben einen interessanten Einblick in die Gedankenwelt des Künstlers und verdeutlichen wie sehr die wechselseitige Beziehung und Verbindung zwischen Aktion und Architektur für ihn von Bedeutung war. Zunächst blieb es bei der Utopie, erst mit dem Erwerb von Schloss Prinzendorf in den 1970er-Jahren konnte er einen tatsächlichen Raum für seine Orgien-Mysterien-Theater finden.
Nitschs Überlegungen und Bestrebungen gipfeln in der Entwicklung seines Orgien Mysterien Theaters. Dieses versteht er als eine Erweiterung des klassischen Theaters– in dem er Verbindung christliche und archaische Rituale ebenso integrierte, wie zeitgenössische Kunstformen und das auf ein reales Erleben auf das „Sein“, wie er selbst formulierte, abzielt und das mit allen Sinnen. Die Farbe, die Nitsch als „innerste Angelegenheit der Malerei“ bezeichnete, spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Ausstellung geht auch darauf ein und zeigt die in den 1980er- und 1990er-Jahren an der Frankfurter Kunsthochschule entwickelten Farbübungen für seine Studierenden, die er als „einfache Farb- und Formversuche“ bezeichnet.
Sie dokumentieren auch, dass sein farbenprächtiges Spätwerk keine Neuentdeckung der Farbe war, sondern diese immer vorhanden war. Auch verband er Farben und die Malerei per se mit Klang und Tönen und sprach in einer Reihe von Interviews davon, dass in beiden Fällen von „Farben, Tönen, Harmonien und Dissonanzen“ die Rede sei. Die Ausstellung spannt daher auch einen Bogen zu seinen Partituren, die sowohl musikalische Notation als auch Regieanweisungen für die Akteure enthalten. Ebenso werden zwei Hauptwerke im Medium Zeichnung des Künstlers präsentiert: Die Originalzeichnung „Das letzte Abendmahl“ an der Nitsch von 1976 bis 1979 arbeitet und die in der Folge in einer Reihe von Siebdrucken übertragen wird und die „Die Eroberung von Jerusalem“, die 1971 entsteht und 2008 als Druckgrafik veröffentlicht wird. In dieser Arbeit druckt Nitsch, wie auch bei einigen anderen, auf Originalrelikte.
Den Abschluss bildet ein Konvolut an strahlend, leuchtenden, farbigen Ölkreide-Zeichnungen auf Papier, die nicht nur den Kreis zu den frühen informellen Werken bilden, sondern auch zu den Farbskalabildern und zu seinem malerischen Spätwerk.
Universalmuseum Joanneum - Bruseum
Joanneumsviertel, 8010 Graz
Österreich
bis 23. Februar 2025