Kunsthaus Zürich

hautnah mit Marina Abramović

Marina Abramović, The Spirit in Any Condition Does Not Burn, 2011, C-Print, 143 x 133 cm, © Courtesy of the Marina Abramović Archives / 2024, ProLitteris, Zurich

Das Kunsthaus Zürich zeigt schweizweit die erste große Retrospektive der Meisterin der Performancekunst Marina Abramović und fordert Besucher:innen dabei zum Ausloten der eigenen Grenzen auf.


Die Kuratorin des Kunsthauses Zürich, Mirjam Varadinis, zeigt in Zürich Werke aus allen Schaffensperioden von Marina Abramović (*1946 Belgrad) sowie Reinszenierungen zweier historischer Performances der Künstlerin. Die Ausstellung ist in enger Zusammenarbeit mit Abramović, der Royal Academy of Arts in London, dem Stedelijk Museum in Amsterdam sowie dem Bank Austria Kunstforum Wien entstanden. Sie zeigt Abramović Werk aus mehr als einem halben Jahrhundert des Schaffens. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Partizipation des Publikums.

Exklusiv für Zürich schuf Abramović zudem eine neue Arbeit, die „Decompression Chamber“ (2024). In diesem Raum sind die Besucher:innen eingeladen, in Stille zu verweilen, „zu dekomprimieren“, um in einen anderen Gefühls- und Seinszustand zu gelangen. 20 Liegestühle und 20 schalldichte Hörer helfen, Stille zu erfahren: Die Grautöne des Raumes, des Teppichs und der Stühle wirken beruhigend. Dabei geht es der Künstlerin darum, dass die Besucher:innen sich selber und die Welt um sich neu entdecken. Dies im Unterschied zu den frühen Performances, bei denen die Künstlerin das Publikum am Ausloten der Grenzen zwischen Körper und Geist teilhaben ließ.

Marina Abramović. Retrospektive, Ausstellungsansicht Kunsthaus Zürich, 2024, Foto: Franca Candrian, Kunsthaus Zürich, Werke: © Courtesy of the Marina Abramović Archives / 2024, ProLitteris, Zürich

Marina Abramović. Retrospektive, Ausstellungsansicht Kunsthaus Zürich, 2024, Foto: Franca Candrian, Kunsthaus Zürich, Werke: © Courtesy of the Marina Abramović Archives / 2024, ProLitteris, Zürich

Das Publikum gibt ihr die nötige Energie, die sie für die Grenzerfahrungen in ihrer Arbeit benötigt. In der Ausstellung werden auch eine Reihe von Performances der Künstlerin reinszeniert und mit lokalen Kunstschaffenden aufgeführt, die vom Marina Abramović Institute gecastet und ausgebildet wurden. Die Re-Performances ist eine Erfindung von Abramović, um diese Art der Kunst zu erhalten.

Abramovićs Arbeit ist immer publikumszentriert.

Nana Pernod

So kann das Zürcher Publikum die Re-Performance ihres Werkes „Imponderabilia“ (1977) miterleben, bei dem eine nackte Frau und ein nackter Mann sich unmittelbar gegenüberstehen. Damit die Besucher:innen in die Ausstellung gelangen können, müssen sie zwischen diesen Körpern hindurchlaufen, wobei Berührungen unvermeidlich sind. Die dabei gemachte Erfahrung ist sehr individuell und vorab nicht einschätzbar – eben „imponderabel“. So erleben die Besucher:innen auf einmalige Art und Weise eine Achtsamkeit und Entschleunigung, eine andere Erfahrung von Zeit und sich selbst.

Die Künstlerin lädt das Zürcher Publikum mehrfach zur Partizipation ein, so zum Beispiel bei ihren „Transitory Objects“ oder auch beim „Zählen von Reis“. Dabei müssen Reiskörner von Linsen getrennt werden, bevor sie gezählt werden. Das soll so lange geschehen, bis Hass und Ärger aufkommen, was anschließend zu innerer Ruhe und Einkehr führt. Abramović diskutiert damit die zentrale Bedeutung der Kunstschaffenden für das Museum: Sie sind dessen tragende Pfeiler.

Imponderabilia, 1977, (Re-Performance), Marina Abramović. Retrospektive, Kunsthaus Zürich, 2024, Foto: Franca Candrian, Kunsthaus Zürich, Werke: © Courtesy of the Marina Abramović Archives / 2024, ProLitteris, Zürich

Imponderabilia, 1977, (Re-Performance), Marina Abramović. Retrospektive, Kunsthaus Zürich, 2024, Foto: Franca Candrian, Kunsthaus Zürich, Werke: © Courtesy of the Marina Abramović Archives / 2024, ProLitteris, Zürich

Die Zürcher Schau hat einen zyklischen Aufbau. Man tritt durch ein Tor, das die eigene Wahrnehmung verändert, ein und durch ein anderes, ebenso wirkendes wieder aus. Übergroß werden historische Aufnahmen und Videos der Performances gezeigt. Dazwischen sind Werke aus unterschiedlichen Gattungen, wie Video, Fotografie und Zeichnung, zu sehen, in sechs Stationen thematisch und chronologisch verteilt. Der Parcours besteht aus verwinkelten und eher kleinen Räumen, die Intimität bieten.

Für die Künstlerin ist das eigene Leben das Material ihrer Kunst: Eine schwierige Kindheit im kommunistischen Jugoslawien bildet den Hintergrund. Ihre Spiritualität führt sie auf die enge Beziehung zu ihrer Großmutter zurück, die streng christlich-orthodox war und bei der sie große Teile der Kindheit verbachte. So sind ihre Kunst und ihr Leben bis heute ein großes untrennbares Ganzes. Die sinnliche Erfahrung, die man in dieser professionell umgesetzten Schau macht, ist einmalig, hallt als sehr spezielle Wahrnehmung von Kunst nach und regt an, über das Erlebte nachzudenken – eine Einladung zum inneren Wandel.

Marina Abramović. Retrospektive, Ausstellungsansicht Kunsthaus Zürich, 2024, Foto: Franca Candrian, Kunsthaus Zürich, Werke: © Courtesy of the Marina Abramović Archives / 2024, ProLitteris, Zürich

Marina Abramović. Retrospektive, Ausstellungsansicht Kunsthaus Zürich, 2024, Foto: Franca Candrian, Kunsthaus Zürich, Werke: © Courtesy of the Marina Abramović Archives / 2024, ProLitteris, Zürich

Kunsthaus Zürich

Heimplatz 1, 8001 Zürich
Schweiz

MARINA ABRAMOVIĆ. RETROSPEKTIVE

bis 16.02.2025