Belvedere 21

Hans Haacke – politisch und unbeugsam

Hans Haacke, Geschenkter Gaul, 2014, Skulpturengarten des Belvedere 21, Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez / Belvedere, Wien

Die anhaltende Relevanz von Hans Haackes Werk wird im Belvedere 21 auf beeindruckende Weise veranschaulicht.


Das brisante und zeitlose Werk des 1936 in Köln geborenen Künstlers wird erstmals in Österreich als umfassende Retrospektive präsentiert. Die von Luisa Ziaja (Chefkuratorin am Belvedere) und Ingrid Pfeiffer (Kuratorin der Schirn Kunsthalle Frankfurt) gemeinsam mit Hans Haacke entwickelte Ausstellung war zunächst in Frankfurt und ist nun erweitert im Belvedere 21 zu sehen. Sie umfasst Arbeiten von 1959 bis zum aktuellen, eigens für das Belvedere konzipierten „Vienna Poll“: eine Publikumsbefragung zu prekären Brennpunkten in tagespolitischen Debatten, wie Haacke sie seit Anfang der 1970er-Jahre realisiert. 

„Vienna Poll“ erfolgt per Tablet, das Ergebnis erscheint zeitverzögert auf einem Bildschirm. Die Schau beginnt mit dem Frühwerk und zieht die Besucher:innen unmittelbar in ihren Bann: Ein blaues Tuch wird durch einen Ventilator hoch über den Köpfen in Bewegung gehalten („Blaues Segel“, 1964/65), Bohnenpflanzen wachsen an schräg gespannten Schnüren aus ihren Beeten („Directed Growth“, 1970–1972) und aus einem Erdkegel sprießt Gras („Grass Grows“, 1969). Wasser blubbert in ausgebreiteten Schläuchen („Circulation“, 1969), rinnt in einem transparenten Acrylglaswürfel als Kondensat in malerischen Schlieren an dessen Wänden ab („Large Condensatione Cube“, 1963–1967) oder gefriert an einem großen Stab zu Eis („Eis-Stab“, 1966).

Ausstellungsansicht "Hans Haacke. Retrospektive", Belvedere 21, Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez / Belvedere, Wien

Ausstellungsansicht "Hans Haacke. Retrospektive", Belvedere 21, Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez / Belvedere, Wien

Hans Haacke hat Malerei studiert, doch seinen Kunstbegriff stetig geweitet. Früh experimentiert er mit verschiedensten Materialien. 1961 fertigt er Spiegelobjekte, die die Betrachter:innen und den Ausstellungsraum in das Kunstwerk involvieren. Anfang der 1960er-Jahre hält sich Haacke viel in den USA auf, 1965 lässt er sich permanent in New York nieder. Er interessiert sich für innere Kreisläufe, physikalische, biologische und ökonomische Systeme, beschäftigt sich mit Systemtheorien der Zeit und macht deren Phänomene in seinen Werken sichtbar.
Die Bürger:innenrechtsbewegung in New York und vor allem die Ermordung von Martin Luther King Jr. 1968 veranlassen ihn, Kunst auch als integralen Bestandteil von sozialen und politischen Systemen zu begreifen. Er setzt sich mit aktuellen wie historischen politischen und gesellschaftlichen Hintergründen auseinander und verarbeitet diese schonungslos in seinem Werk. 

Als Haacke 1971 nicht von seiner Absicht ablassen will, in seiner Einzelausstellung im Guggenheim Museum in New York mit der Arbeit „Shapolsky et al, Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System as of May 1, 1971“ die sozialen Abgründe der profitsüchtigen Immobilienspekulationen visuell aufzubereiten, wird die Schau kurzfristig abgesagt. Ein jahrelanger Ausschluss aus jedem relevanten musealen Ausstellungsgeschehen ist die Folge.Dennoch setzt Haacke seine Strategie „einer kritischen Auseinandersetzung mit Gegenwart und Vergangenheit“ kompromisslos bis heute fort – und löst erbitterte Debatten aus. 1993 liefert er mit „GERMANIA“ im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig einen geballten expliziten Verweis auf die nicht aufgearbeitete Nazi-Vergangenheit.

Im Belvedere wird auch Haackes Beitrag zur Ausstellung „Bezugspunkte 38/88“ gezeigt, mit der der steirische Herbst 1988 dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich gedachte. Haacke rekonstruierte die Verkleidung und damit die NS-Umdeutung der Grazer Mariensäule zu einem triumphalen Obelisken der Nazi-Kultur. Er ergänzte seine Arbeit mit Faksimiles von Zeitungsauszügen von 1938, die die erfolgreiche Durchdringung der lokalen Gesellschaft mit NS-Ideologie offenlegen, und einer Inschrift mit den Namen der steirischen NS-Opfer. Die Arbeit provozierte heftigste Reaktionen, kurz vor Ausstellungsende wurde ein Brandanschlag auf das Werk verübt. 

Die Ausstellung im Belvedere versammelt sämtliche relevanten Werke des unbeugsamen Künstlers. Sein berühmtes „Gift Horse“ – ein bronzenes Pferdeskelett, dessen Geschenkschleife den Live-Ticker der örtlichen Börse zeigt – das er 2014 für die Londoner vierte Plinthe schuff, steht nun im Skulpturenpark. Die facettenreiche Schau macht das diskursive und provokative Potenzial von Haackes Kunst nicht nur sichtbar, sondern setzt es auch frei.

Hans Haacke, Germania, Dokumentation der ortsspezifischen Installation, deutscher Pavillion, Biennale di Venezia, 1993, Courtesy der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York © Hans Haacke / Artists Rights Society (ARS) New York / Bildrecht, Wien 2025

Hans Haacke, Germania, Dokumentation der ortsspezifischen Installation, deutscher Pavillion, Biennale di Venezia, 1993, Courtesy der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York © Hans Haacke / Artists Rights Society (ARS) New York / Bildrecht, Wien 2025

Belvedere 21

Quartier Belvedere, Arsenalstraße 1, 1030 Wien
Österreich

HANS HAACKE. RETROSPEKTIVE

bis  09.06.2025

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