Gallery Diary - MARTINETZ | MASSE UND MACHT, JÄGER UND SAMMLER

In seiner fünften Einzelausstellung bei Petra Martinetz präsentiert Christian Eisenberger (*1978 in Semriach, Österreich) eine facettenreiche Auswahl seiner jüngst entstandenen Arbeiten. Der Titel „Masse und Macht“ ist dem gleichnamigen Buch von Elias Canetti entlehnt, der darin die komplexen Beziehungen zwischen Individuum, Masse und Macht thematisiert.
Canetti untersucht, wie sich Menschen in Massen verhalten, welche psychologischen Mechanismen dabei eine Rolle spielen und wie sich Macht in diesen Zusammenhängen auswirkt. Seine Schlussfolgerungen sind bis heute aktuell. Der Ausstellungstitel fungiert für Eisenberger als ein künstlerisches Konzept: Die Macht der Masse verdeutlicht Eisenbergers Interesse am seriellen Arbeiten, das sich auch in den schier unglaublichen Zahlen am Ende des Titels ablesen lässt. Bis zum Tag der Ausstellungseröffnung ist der Künstler seit 16932 Tagen am Leben und hat in dieser Zeit 9975 Pappfiguren sowie 41852 Arbeiten auf DinA4-Papier geschaffen – unter anderem. Im Zentrum der Kölner Ausstellung steht Christian Eisenbergers Skulpturengruppe 'Picknick' – ein Zusammenspiel charakteristischer Figuren mit teils menschlichen, teils comichaften Zügen –, die die Vielseitigkeit seines künstlerischen Schaffens widerspiegelt. Die Grundlage für dieses Werk bilden einfache Pappfiguren, denen Eisenberger durch den Abguss in Aluminium eine überraschende Monumentalität verleiht. Der Kontrast zwischen dem leichten, flüchtigen Ausgangsmaterial und der Robustheit des Aluminiums erzeugt eine dialektische Spannung, zumal die Plastik erstmals im Innenraum präsentiert wird. Methodisches Denken. Spontanität und Improvisation.

Christian Eisenberger, Masse und Macht, 2024, Foto: Tamara Lorenz, Courtesy the artist und MARTINETZ, Köln
Der in Wien und Salzburg lebende Künstler ist bekannt für seine intuitive Arbeitsweise. Er lässt sich oft von den Materialien und dem jeweiligen Kontext leiten, was seinen Werken eine gewisse Unmittelbarkeit verleiht. Überhaupt ist es die Form der Dialektik, die in Eisenberges Schaffen und in der Ausstellung deutlich wird. Neben Plastiken und Skulpturen sind auch Gemälde zu sehen, die in seinem Wiener Atelier entstehen und in ihrer pastosen, oftmals flüchtigen Machart das Interesse an Serialität unterstreichen. Sie stehen im Kontrast zu mehreren Fotografien, die Eisenberger in der Natur mit Selbstauslöser aufnimmt und die ihn im Zusammenspiel mit der Natur zeigen. Malerei und Land-Art. Porträtist und Landschaftsumgestalter. Ist Eisenbergers Stadtatelier bis zum Bersten gefüllt mit Kunstwerken, ist das Freiluftatelier im Wald von der Flüchtigkeit aller dort entstandenen Arbeiten bestimmt. Masse und Macht. Zeit und Vergänglichkeit. Eines wird in der Ausstellung deutlich: Christian Eisenberger ist Jäger und Sammler, ist Stadt- und Landkünstler. Fehlt das eine, fällt das andere.
Hendrik Bündge