Eccentric – Ästhetik der Freiheit
Die Ausstellung „Eccentric – Ästhetik der Freiheit“ untersucht den exzentrischen Faktor in Kunst und Philosophie. Im Zentrum der Ausstellung steht die zeitgenössische bildende Kunst des gesamten Gattungsspektrums seit 1980 mit Werken aus Malerei, Skulptur, Installation, Medienkunst und Performance. Mit einigen Arbeiten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sucht die Ausstellung auch historische Anknüpfungspunkte. Der ganze Bericht in der aktuellen Ausgabe 03/2024.
EINE TRANSFORMATIVE KRAFT
Kuratiert wird die Ausstellung von der Kunsthistorikerin und Autorin Eva Karcher und Bernhart Schwenk, Sammlungsleiter für Gegenwartkunst an der Pinakothek der Moderne. Grundgedanke ist die These, dass exzentrische Persönlichkeiten durch ihr transformatives Denken immun gegen Ideologien sind, Freiräume behaupten und entwickeln und somit eine Ästhetik der Freiheit entstehen lassen – ein unterschätztes Phänomen moderner Gesellschaften, so Karcher und Schwenk, das sie mit der Schau thematisieren wollen. Dazu kam die aktuelle politische Situation, die sich in Europa, aber auch weltweit immer mehr in Richtung autokratischer und zentristischer Bewegungen zuspitzt.
„Exzentrik ist eine intellektuelle Haltung, die ex centro, außerhalb der Mitte, liegt und sich Ideologien jeder Art verweigert, auf der Freiheit des individuellen und kollektiven Denkens und Gestaltens basiert und damit für die Freiheit der Demokratie und des Humanismus eintritt. Exzentrik und Macht schließen sich daher aus“, sind Karcher und Schwenk überzeugt. "Aus diesem Grund werden in autokratischen Systemen exzentrische Persönlichkeiten oft unterdrückt und angegriffen."
Exzentriker sind also auch ein Appell an die Toleranz unserer Gesellschaft, denn bekennende Exzentriker haben es nicht immer leicht, akzeptiert zu werden. Sie können aber zuweilen ihre ungewöhnlichen Anlagen in vollen Zügen genießen.
WAS IST EXZENTRISCHE KUNST?
Exzentrische Persönlichkeiten gab und gibt es in allen Bereichen – da Kunstschaffende grundsätzlich um Individualität bemüht sind, oft gesellschaftlich-soziale Konnotationen hinterfragen, trifft der Begriff auch auf viele Künstler:innen zu. Doch wie manifestiert sich die Exzentrik in der Kunst? Im Fokus stehen Werke, in denen sich gewisse Momente der Übersteigerung, der Entgrenzung und Fluidität ablesen lassen. Überraschende Narrative und das Auflösen traditioneller Formen sind die Grundsteine der exzentrischen Kunst, ihr wohnt eine Formensprache inne, die außerhalb des klassischen Kanons liegt. Ein Kanon, der in der Kunstgeschichte immer wieder aufgebrochen wird.
Insgesamt sind Werke von 50 Künstlerpersönlichkeiten zu sehen, darunter Jean-Marie Appriou, Julian Charrière, Gelitin, Paul McCarthy, Jeff Koons, Cindy Sherman, Maurizio Cattelan, John Bock, Jonathan Meese oder Isa Genzken und Anna Uddenberg.
Es ist auch ein Wiedersehen mit ikonischen Werken, wie etwa Pipilotti Rists Video „Ever is over all“ von 1997. Ein kokettes Statement, in dem Aspekte wie Feminismus und Gewalt thematisiert werden, und „ein Akt der Freiheit, subversiv, mitreißend, humorvoll“, so Eva Karcher. Mit Werken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, etwa von Salvador Dalí, Max Ernst oder James Ensor, zeigt die Ausstellung auch historische Anknüpfungspunkte aus dem 20. Jahrhundert.
EXZENTRIK ≠ EGOZENTRIK
Überblickt man die Auswahl, dann geht es mehr um die formale Sprache der Werke als um die Künstlerpersönlichkeiten selbst. Es ist ein geläufiges Missverständnis, das Unkonventionelle sei an Äußerlichem festzumachen. Schrill allein genügt also nicht, wenngleich einige der Künstler:innen wie Eva & Adele ihre Exzentrik auch anhand ihres Auftretens postulieren – oder auch Salvador Dalí, dessen Exzentrik die Grenze zum Narzissmus mit seinen stets geplanten und inszenierten Auftritten überschreitet.
Auch der Kunstmarkt hat den Nonkonformismus entdeckt. Viele Künstler erhöhen ihren Marktwerkt anhand ihrer dosiert und kalkuliert eingesetzten Egozentrik und verpassen sich, wie Joseph Beuys, nicht nur ein unverwechselbares Outfit, sondern auch eine auratische Biografie. Gerade diese Ambivalenzen machen das Thema der Ausstellung so interessant und aktuell und evozieren geradezu einen Diskurs. Das geplante Rahmenprogramm sieht daher viel Raum für Diskussionen vor.
Eva Karcher ist überzeugt, dass wir aktuell wieder in einer sehr exzentrischen Phase leben. Die aktuellen politischen Tendenzen sieht sie als letztes Aufbäumen autokratischer Strukturen und ist ob des kreativen und positiven Potenzials der Gesellschaft und ihrer vernetzten Strukturen optimistisch.
Eccentric ist eine Ausstellung, die einen hohen Anspruch stellt und thematisch weit über die Kunst hinausgehend soziologische, ökonomische und nicht zuletzt auch psychologische Zusammenhänge anspricht, die aktuell im Diskurs stehen – verbunden mit der Aufforderung zu aktiver Hoffnung. Hoffnung für eine Gesellschaft, die sich ihrer Probleme bewusst ist und nicht in Einzelmeinungen zersplittert. Denn, wie die Journalistin und Schriftstellerin Eva Menasse in ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises 2019 meinte: Für Pessimismus ist es zu spät.
Dieser Artikel wurde gekürzt. Lesen Sie weiter in der aktuellen Ausgabe 03/2024.
Pinakothek der Moderne
Barer Straße 40, 80333 München
Deutschland