Diese Ausstellungen sollten Sie auf keinen Fall verpassen
Die ersten Monate der Herbst-/Wintersaison des Kunstkalenders sind vorüber: Die meisten nationalen wie internationalen Kunstmessen von Wien über London und Paris bis nach Turin und Köln sind absolviert. Als Saisonabschluss steht Anfang Dezember noch die Art Basel in Miami auf dem Programm. Die wichtigen Museums- und Kunsthallenausstellungen sind eröffnet. Das Wiener Galerienfestival Curated by ist ebenfalls Geschichte. Daher der ideale Zeitpunkt, durch die Galerienausstellungen in der Donaumetropole zu wandern. Ein Rundgang in zwei Teilen.
Galerie Lombardi-Kargl
Unter Umständen ist es ein Ausdruck der Jahreszeit: Die Ausstellung „some notes … (barely written out)“ von Thomas Locher bei Lombardi-Kargl setzt sich installativ und konzeptuell mit der Formulierung der Gesetzestexte der UN-Kinderrechtskonvention aus dem Jahr 1989 auseinander. Bis zum heutigen Tag sind 198 Staaten dieser Konvention beigetreten, die unter anderen den Schutz der Kinder und die Wahrung ihrer Interessen garantieren soll. Vor allem aber ihr (Über-)Leben, ihre Entwicklungen sichern und jegliche Diskriminierung abwenden soll. Ein kurzer Blick ins Weltgeschehen verdeutlicht, dass die Menschheit meilenweit vom Ideal entfernt ist. Thomas Locher gelingt es auf ergreifende Weise, die Fehler, die in der sprachlichen Ausformulierung gemacht wurden, darzustellen. Einzelne Artikel hat er auf Transparenzfolie ausgedruckt und hat wie ein Lektor Passagen korrigiert, Fragen notiert und krasse Fehler kommentiert.
Eine kleinteilige, tiefe Aufmerksamkeit abverlangende Installation. Ebenso ergreifend die Inszenierung „Round Table (children’s version)“ im Raum in der Schleifmühlgasse 5: Hier hat Locher den Artikel 1 des Übereinkommens „bearbeitet“ und unterstreicht es mit einem Arrangement von Kinderstühlen in einem Kreis. Eine Dramaturgie, in der sich Besucher unweigerlich die Frage stellen, wie Kinder selbst ihre Rechte formuliert hätten.
Thomas Locher, „some notes … (barely written out)“, Galerie Lombardi-Kargl, bis 31. Dezember 2024
Galerie Wonnerth Dejaco
Die Musik ist es, die einem beim Eintreten in die Galerie Wonnerth Dejaco sofort auffällt. Sie kommt aus dem Studio-Setting, das die nigerianisch-österreichische Künstlerin Belinda Kazeem-Kamiński für ihre Einzelausstellung „Ire T’ónlọ Lọ́wọ́ / Blessings, ongoing” im zweiten Raum der Galerie eingerichtet hat. Als Hommage an den bedeutenden, nigerianischen Künstler und Fotografen J.D. `Okhai Ojeikere, mit dessen Sohn sie während eines Stipendiums in Lagos ihre Techniken der analogen Fotografie erweiterte. Wobei sie aber auch profunde Einblicke in die Lebensweisen und die Kosmologie des Stammes der Yoruba gewinnen konnte. Ein Teil der Traditionen findet sich in der modernen wie zeitgenössischen Fotografie wieder: Einerseits bei der Abbildung der atemberauenden Haarskulpturen, aber auch bei Aufnahmen von Menschen in modischem Outfit. Ein Moment, der sich in den Arbeiten des Fotografen Samuel Fosso wiederfindet.
In der Präsentation gelingt es Belinda Kazeem-Kamiński, die im Vorjahr mit dem Otto-Mauer-Preis ausgezeichnet wurde, beeindruckend ihre Hinundher-Gerissenheit zu vermitteln: Sich einerseits auf die Spuren ihrer Familie zu begeben, sich der pulsierenden und dynamischen Energie von Lagos auszusetzen, jedoch auch zu erkennen, dass sie in Österreich aufgewachsen ist, hier sozialisiert wurde und hier lebt. Deswegen birgt eine großformatige Fotografie, die eine Aufnahme einer Familie in einem Studio zeigt, eine tiefere Ironie in sich: Vom Großvater über die Mutter bis zur Tochter werden alle Figuren von Kazeem-Kamiński selbst dargestellt. Stupend!
Belinda Kazeem-Kamiński, „Ire T’ónlọ Lọ́wọ́ / Blessings, ongoing”, Galerie Wonnerth Dejaco, bis 19. Dezember 2024
Galerie Elisabeth & Klaus Thoman
Es ist kaum zu glauben. Das Material, welches der junge Künstler Lukas Thaler für seine Leinwände verwendet ist Schlamm. Jener Schlamm, der seiner ersten Einzelausstellung bei der Galerie Thoman auch den – englischen – Namen gegeben hat: „ooze“. Der Tiroler legt mit seinen Materialien eine falsche Fährte. Denn die großformatigen, pastosen Leinwände präsentieren sich in einem netten, Barbie-Rosa. Die Täuschung gehört zu Thalers Ausstellungskonzeption, denn über die vermeintliche „Lieblichkeit“ mancher seiner Arbeiten, stößt er die Besucher auf das Thema Natur. Auf unterschiedlichen Ebenen: Den Schlamm aus Industrieproduktion verwendet er einerseits für seine Leinwände, aber auch für fast abstrahierte Skulpturen, die an ausgehöhlte Bäume erinnern. Diese Baumskulpturen liegen exakt platziert im Galerienraum. Ein bizarrer Gegenpol zur realen Natur, in der das Chaos vorherrscht. Aber vielleicht muss sich die Menschheit auf solche Inszenierungen der Außenwelt früher gefasst machen, als es ihr lieb ist.
Ein elektronisch-reduzierter, eigenwilliger Sound von Clemens Posch untermalt das „Lustwandeln“ durch den erlegten Wald. Jedoch auch in seinen anderen Leinwänden bricht Thaler mit tradierten Sehgewohnheiten: Er platziert Triptychons, für die er einzelne Exponate aus unterschiedlichen Medien verwendet hat – Zeichnungen, farbintensive Fingermalerei und monochrome Schlammbilder. Diese Kombinationen müssen Besucherinnen und Besucher erstmal „sehen lernen“.
Lukas Thaler, „ooze“, Galerie Thoman, bis 21. Dezember 2024
Bereits vorbei
Galerie Martin Janda
In der Jahresausstellung des beeindruckenden Kolumba Museums in Köln ist der Titel einer Arbeit von ihm gleichzeitig der Name der Präsentation: „Artist at Work“ von Mladen Stilinović. In der Wiener Eschenbachgasse bei Martin Janda ist dem 1947 in Belgrad geborenen und 2016 in Pula gestorbenen Konzeptkünstler die Einzelausstellung „The Language of Politics“ (kuratiert von Branka Stipančić) gewidmet. Für Stilinović war die Sprache, der Umgang mit der Sprache bis hin zu ihrer Pervertierung essenzieller Teil seines künstlerischen Schaffens: Wie bei der Installation „On Work“ (1908-1984), die abgedroschene Pamphlete der kommunistischen Partei auf Pappkarton mit Bildern der Politiker auf einer schräg im Raum hängenden Wand zeigt. Die Besucher haben die Möglichkeit, darunter davor auf einem Stuhl sitzend, sich dem Gefühl der Hilflosigkeit durch Lüge und Propaganda auszuliefern. Für eine andere Installation werden Bäckereien mit Pflastersteinen gefüllt und auf einem Tisch präsentiert – ein trefflich-ironischer Aufruf zur Revolution in Anspielung auf Marie Antionette („For Marie Antoinette '68“, 2008).
Besonders „schmerzhaft“ die Arbeit „Dictionary – Pain“ aus dem Jahr 2011, die für Stilinović den Verlust seiner Sprache durch die Machtübernahme des Englischen dokumentiert. Eine sehr gute Ausstellung, um dem divergenten Oeuvre des Künstlers anzunähern.
Mladen Stilinović, „The Language of Politics“, Galerie Martin Janda, bis 30. November 2024
Galerie Crone
Schmerz verbinden Besucher auch bei manchen Arbeiten des US-amerikanischen Künstlers Anthony Goicolea. Die Galerie Crone zeigt in der Ausstellung „Reservations for One“ großformatige Leinwände und fragile Malereien des 1971 geborenen Künstlers und Sohn kubanischer Einwanderer. In seinem originären, malerischen Duktus und seiner dichten Farbgebung porträtiert Goicolea Menschen in einsamen, melancholisch-intimen, manchmal scheinbar ausweglosen Situationen. Die Inszenierung der Bilder, die Realitäten und Traumwelten ineinander verschwimmen lassen, zieht Besucher unmittelbar in ihren Bann und man/frau verspürt manchmal den anfangs erwähnten Schmerz. Besonders ins Auge sticht etwa das Bild „Nose Guy“ aus dem Jahr 2014: Ein Junge in Unterhosen riecht an, in einem intensiven Blau gemalten Lilien. Die er mit seinen Zehen zur Nase führt. Sehenswert.
Anthony Goicolea, „Reservations for One“, Galerie Crone, bis 30. November 2024