Der Zeit ihre Stoffe

Das umfangreiche Backhausen-Archiv wurde 2024 dem Wiener Leopold Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Die Sonderausstellung „Poesie des Ornaments“ ermöglicht erstmals einen faszinierenden Einblick in die vielfältige Sammlung des Backhausen-Archives, die zeigt, welchen Anteil Textilentwürfe am Gesamtkunstwerk der Wiener Moderne hatten.
Tausende Originalentwürfe und Stoffmuster aus den Epochen des Historismus, des Jugendstils, des Art déco und des Kinetismus – darunter auch zahlreiche Werke von Josef Hoffmann und Koloman Moser – können anhand von 250 ausgewählten Beispielen im Leopold Museum besichtigt werden. „Es war enorm wichtig, dass wir diese Sammlung an unser Haus binden und mit den Exponaten arbeiten können“, erklärt Direktor Hans-Peter Wipplinger. „Denn das Backhausen-Archiv passt kongenial zu den Kerninhalten unseres Museums. Die Idee des Gesamtkunstwerks wird so um den Aspekt der Textilkunst erweitert.“
Das Unternehmen Joh. Backhausen & Söhne zählte einst zu den traditionsreichsten Produzenten von Möbel- und Dekorstoffen in Österreich. „Besonders die Zusammenarbeit mit Otto Wagner ab 1891 hat der Firma einen enormen Aufschwung ermöglicht“, erläutert Kuratorin Ursula Oswald-Graf. „Das Backhausen-Archiv erlaubt uns nun, diesen Schulterschluss mit der Avantgarde nachzuvollziehen.“
In der Ausstellung werden originale Textilmuster in Dialog mit historischen Fotografien präsentiert, die auch einen Eindruck von durch Backhausen-Stoffe geprägten Interieurs vermitteln. Ab 1903 intensivierte Backhausen – nicht zuletzt dank der intensiven Kooperation mit der im selben Jahr gegründeten Wiener Werkstätte, deren Gründungstrio Josef Hoffmann, Koloman Moser und Fritz Waerndorfer umfasste – die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstler:innen, darunter herausragenden Figuren der Wiener Moderne.

Marietta Peyfuss, Dess. 3923, 1900, Tusche, Quadrierung in Rot auf Papier, 20,9 x 17,2 cm, Backhausen-Archiv, Vermächtnis von Frau Dr. Louise Kiesling, Dauerleihgabe im Leopold Museum
Das Backhausen-Archiv erlaubt uns, den Schulterschluss mit der Avantgarde nachzuvollziehen.
„Backhausen war an der Entwicklung des Gesamtkunstwerks nachhaltig beteiligt. Die fruchtbare Symbiose gipfelte in den Ausstattungen des Sanatoriums Purkersdorf, der Villa Skywa-Primavesi, des Palais Stoclet in Brüssel sowie der Villa Knips“, erklärt Kuratorin Aline Marion Steinwender. „Durch den Vergleich mit den bekannten Fotografien erkennt man, wie die Raumgestaltung jeweils mit dem Teppichentwurf harmoniert und wie die Ornamente ineinandergreifen.“ Die größte Dichte an Backhausen-Entwürfen verzeichnet das Archiv zwischen 1905 und 1910. Ausgewählte Objekte werden daher auch permanent im Rahmen der Dauerpräsentation „Wien 1900. Aufbruch in die Moderne“ im Leopold Museum zu sehen sein, während andere Teile der Sammlung als Leihgaben auf Reisen gehen.
Hans-Peter Wipplinger verweist auf einen wichtigen Aspekt des Konvoluts: „Besonders erfreulich ist es, dass neben Protagonisten wie Josef Hoffmann und Dagobert Peche auch viele Künstlerinnen in den Beständen zu finden sind. Hier können wir ein historisch bedingtes Manko endlich etwas ausgleichen.“ Das Backhausen-Archiv ist maßgeblich der letzten Inhaberin, der im Dezember 2022 verstorbenen Louise Kiesling zu verdanken, die die Sammlung nach ihrer Übernahme der Firma Backhausen im Jahr 2014 wissenschaftlich katalogisieren und digitalisieren ließ. „Ohne ihre wertvolle Arbeit für das Backhausen-Archiv, das als Einheit ob seiner Einzigartigkeit unter Denkmalschutz steht, wäre diese Kooperation nicht möglich gewesen“, betont Hans-Peter Wipplinger die Bedeutung dieser signifikanten Erweiterung des Bestands.

Blick in das Speisezimmer der Villa Knips, Anonyme*r Fotograf*in, 1925, © Austrian Archives/brandstaetter images/picturedesk.com
Die Sonderausstellung „Poesie des Ornaments“ lädt nun anhand verschiedener Themenbereiche dazu ein, in diese reichhaltige und einzigartige „stoffliche“ Erlebniswelt einzutauchen. „Wir haben uns für eine Auswahl von 250 Objekten entschieden“, so Kuratorin Aline Marion Steinwender. „Dabei möchten wir insbesondere die enorme Vielfalt und Stilpluralität der unzähligen Entwürfe hervorheben.“ Das Backhausen-Archiv zählt mehr als 300 Entwerfer:innen, von denen 69 in der Ausstellung vertreten sind, darunter 15 Künstlerinnen.
Die Anordnung erfolgt chronologisch, erklärt Steinwender: „Wir beginnen mit einem Entwurf von 1878 und enden mit einem Textilmuster von 1907 von Josef Hoffmann, das Anfang der 1960er Jahre von Hermann Czech für die Sessel des Restaurants Ballhaus neu aufgelegt wurde. Was sofort ins Auge fällt: Bei den Backhausen-Entwürfen handelt es sich nicht um autonome Kunstwerke, sondern um Werkzeichnungen und Skizzen, die etwa auch Anweisungen für Knüpfer:innen, Notizen der Designer:innen oder Firmenstempel aufweisen. Sie stehen stets in einem räumlichen Kontext. Uns war es wichtig, dies darüber hinaus in der Ausstellung hervorzuheben und auch zu betonen, dass die Entwürfe im jeweiligen räumlichen Zusammenhang gelesen werden sollen.“

Ludwig Heinrich Jungnickel, Dess. 4337, 1901, Bleistift, Gouache, Quadrierung in Rot auf Transparentpapier, 52,8 x 55,6 cm, © Backhausen-Archiv, Vermächtnis von Frau Dr. Louise Kiesling, Dauerleihgabe im Leopold Museum
Dies wird exemplarisch deutlich bei dem lebhaft farbigen Teppichentwurf für die Villa von Sonja Knips, meint Kuratorin Ursula Oswald-Graf:
„Für die Wiener Moderne spielten die Ornamentik und die Farbigkeit des Textils im Raum eine maßgebliche Rolle. Dies zeigt sich etwa immer wieder deutlich in Hoffmanns Umgang mit Gustav Klimts Gemälden im Raum, etwa Sonja Knips’ Porträt in einem rosa Kleid. Mit den Entwürfen aus dem Backhausen-Archiv können wir die bisher bekannten schwarz-weißen Fotografien aus dieser Zeit ganz neu interpretieren!“

Julius Zimpel, Dess. 10026-1 für das Speisezimmer der Villa Knips, 1925, Velours aus Wolle, 140,3 x 67,2 cm, © Backhausen-Archiv, Vermächtnis von Frau Dr. Louise Kiesling, Dauerleihgabe im Leopold Museum
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