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Die Ausstellung "Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991" in der Kunsthalle Wien ist eine kunsthistorische Pionierinnentat ihrer neuen Leiterin Michelle Cotton – auch wenn wichtige Wiener Positionen fehlen.
Spätestens seit 2022, als Cecilia Alemani in ihrer wunderbaren Biennale in Venedig Werke von Lillian Schwartz, Ulla Wiggen, Vera Molnár und Charlotte Johannesson zeigte, konnte man es wissen: Künstlerinnen waren in der frühen Computerkunst ganz vorne dabei. Schon damals fragte man sich, warum sie so derart unterrepräsentiert waren: In Überblickswerken über digitale Kunst und Ausstellungen fehlten viele weibliche Namen.
Das fiel auch Michelle Cotton, heute Direktorin der Kunsthalle Wien, auf. Seit Jahren, auch vor der Biennale, arbeitete sie, noch in ihrer früheren Tätigkeit am Mudam Luxembourg, an einer großen Ausstellung über die Pionierinnen der Computerkunst. Dass sie diese nun in Wien zeigt, ist ein Glücksfall. Denn „Radical Software. Women Art & Computing. 1960–1991“ ist eine kunsthistorische Pionierinnentat. Es sei, so Cotton, die erste Ausstellung, die ausschließlich weibliche Positionen zu diesem Thema zeigt.
Frauen spielten zu Zeiten, als der Umgang mit Computern noch nicht das große Geld versprach, eine zentrale Rolle im Programmieren.

Radical Software: Women, Art & Computing 1960-1991, 2025, Kunsthalle Wien, Foto: PARNASS
Die Ausstellung legt den Fokus bewusst auf die Zeit vor dem Siegeszug des Internet und dem der allesamt männlichen Tech-Milliardäre. Sie zieht sich über beide Geschosse der Kunsthalle, zu Recht: Es gibt viel zu erzählen. Etwas überraschend erscheint der Einstieg im Erdgeschoss. Wer hier, im ersten Raum, Pixelgeflacker erwartet hat, erlebt eine Enttäuschung. Denn Michelle Cotton setzt bei den Anfängen und Vorläuferinnen an: bei Arbeiten, die auf Mathematik, Konstruktion, Algorithmen basieren und teilweise ganz ohne Computer entstanden sind. Etwa die Zeichnungen von Hanne Darboven, deren mathematischer und in ihrem Herstellungsprozess fast maschineller Zugang als programmatisch für spätere Computerkunst gesehen werden kann.
Von Schwarz-Weiß dominiert, besticht dieser erste Teil durch hintergründige wie ästhetisch ergiebige Arbeiten: etwa die Schreibmaschine von Alison Knowles, die sich in gewissen Zeitabständen in Gang setzt und computergenerierte Poesie niederklackert, sowie die wunderschönen digitalen Zeichnungen, die an einer Wand versammelt sind, unter anderem von Lily Greenham, Monique Nahas und Hervé Huitric sowie von Vera Molnár, die die Handschrift ihrer Mutter durch Computer in nervöse, abgehackte, grafisch reizvolle Linien verwandelte.

Liliane Lijn, Radical Software: Women, Art & Computing 1960-1991, 2025, Kunsthalle Wien, Foto: PARNASS
Barbara T. Smith druckte computergenerierte Schneekristalle auf Papier aus, ließ die Blätter in Las Vegas von einem Balkon rieseln und zauberte damit Schnee in die Wüste. Auch die elliptischen Zeichnungen von Inge Borchardt, die in Hamburg Computeringenieurin am Deutschen Elektronen-Synchroton (DESY) in Führungsposition war, faszinieren.
In der Ausstellung wird auch sichtbar, wie sich Technologie und Kunst in der beruflichen Herkunft ihrer Protagonistinnen überlagern: Tamiko Thiel war ursprünglich Produktdesignerin, Rebecca Allen studierte am MIT und arbeitete in einem Computergrafik-Labor. Im Katalog kann man nachlesen, wie früh die Künstlerinnen dran waren mit ihren Zugängen; Sonia Sheridan etwa gründete bereits 1970 am Art Institute in Chicago ein Forschungsprogramm zu Generative Systems.

Sonya Rapoport, Shoe-Field Map, 1982, Courtesy Estate of Sonya Rapoport
Bunter wird es im ersten Stock, wo Gemälde von Ulla Wiggen und Deborah Remington das Innere von Computern und Schaltkreisen offenlegen und auf mehreren Reihen von Screens Bilder flimmern: In „Plüschlove“ von Ruth Schnell und Gudrun Bielz flitzen Figürchen quer durch einen Raum, dessen Wände mehrere Türen durchbrechen; in einer anderen Arbeit der beiden ziehen sich rote Pfeile über blaue Rechtecke. Ein absolutes Highlight sind die Arbeiten von Samia Halaby, in denen abstrakte Formen zu Computermusik tanzen. „Ich habe mich daraufkonzentriert, ein neues Medium für die Malerei zu erforschen“, sagt die Künstlerin in einem Interview im Katalog (glücklicherweise hat die Kunsthalle, im Gegensatz zu ihrer langjährigen Praxis, nun einen produziert). „Formen können gegenseitig auf sich aufmerksam machen oder gemeinsam wie ein Chor Klänge hervorbringen. Abstrakte, bewegte Bilder mit Ton unterscheiden sich erheblich vom Film, der ein bewegtes, von einer Linse dominiertes Bild präsentiert.“

Ausstellungsansicht Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991: Charlotte Johannesson, Untitled, 1981–85, Kunsthalle Wien 2025, Courtesy der Künstlerin, Hollybush Gardens, London, und Croy Nielsen, Wien, Foto: kunst-dokumentation.com
Die Ausstellung ist eher als Anfang einer Auseinandersetzung zu verstehen und nicht definitiv.
Ebenso reizvoll sind Katalin Ladiks Fotos von Schaltkreisen, zu denen Musik erklingt: Gurren, Keckern, Piepsen, Plappern, Schnattern – ein Soundscape zwischen Bauernhof und Konkreter Poesie. Auch das Selbstporträt aus verschiedenen Zeichen von Anna Bella Geiger, die partizipative Installation von Sonya Rapoport sowie Rebecca Allens LED-Arbeiten bestechen.
Besonders stolz ist die Kunsthalle auf VALIE EXPORTS Installation, die eine HTL restaurieren konnte: das Innenleben eines Computers, mit kleinen Bildschirmen, auf denen die Wörter Ping und Pong erscheinen; ursprünglich war sie interaktiv. Ebenso wie die – weniger zwingende – Skulptur von Irma Hünerfauth, in der Glasaugen, eine Glocke und diverses elektronisches Zeug einst zum Vibrieren gebracht werden konnten. Bisweilen hat die Computerkunst eben ein Verfallsdatum; auch die Ästhetik – die eckigen Figuren und Gesichter, die poppigen Farben, die rasterartigen Bildkompositionen – erscheint in ihrer Zeit verankert. Den meisten Exponaten lässt sich aber auch fern von Nintendo-Nostalgie etwas abgewinnen.

VALIE EXPORT, Stand Up. Sit Down, 1989, Courtesy die Künstlerin
Angesichts der Fülle und Qualität dieses Projekts ist es umso bedauerlicher, dass ausgerechnet in der Kunsthalle Wien wichtige Wiener Positionen fehlen, etwa das Duo Station Rose (zugegeben, bestehend aus einem Mann und einer Frau, doch es sind auch andere gemischte Duos in der Ausstellung vertreten) sowie Margot Pilz, die in den 1980er-Jahren intensiv mit Computern arbeitete und 1991 mit ihrem „Delphi Orakel“ eine Installation entwarf, die heute als visionär gelten kann. Auf Nachfrage sagte Kuratorin Michelle Cotton, dass die Ausstellung eher als Anfang einer Auseinandersetzung zu verstehen sei und nicht definitiv. Das Verdienst, eine ganze Menge Künstlerinnen neu vorgestellt und darüber hinaus in einem als Anthologie gut brauchbaren Katalog verewigt zu haben, das bleibt jedenfalls.

Margot Pilz, It happens, 1987, digitale Bildverfremdung, Farbfoto, 50,2 × 73,8 cm | © Margot Pilz
Kunsthalle Wien
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