»Computer und Papier (Various Others)« bei Jahn und Jahn, München

Computer und Papier, 2019, Ausstellungsansicht, Jahn und Jahn, München © Jahn und Jahn, Munich, Photo: Ulrich Gebert

Jahn und Jahn

Baaderstraße 56 B & C, 80469 München
Deutschland

KünstlerIn: Thomas Baldischwyler, Soyon Jung, Albert Oehlen, Laura Owens, Avery Singer, Felix Thiele

Titel: Computer und Papier (Various Others)

Datum: 13. September – 12. Oktober 2019

Fotografie: © Jahn und Jahn, Munich, Photo: Ulrich Gebert

Ausstellungstext:

In Kooperation mit Conradi, Hamburg, und Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin

Die Ausstellung "Computer und Papier" geht der Frage nach, in welcher Form die umgreifende Digitalisierung aller Lebensbereiche Ausdruck sowie Reflexion in künstlerischen Praktiken findet. Dies tut sie fokussierend auf und gleichzeitig in Kontrast zu Papier als traditionellem Medium, welches in seiner Geschichte bereits zahlreiche Veränderungen hinsichtlich der Rolle seiner praktischen Verwendung sowie den Zuschreibungen seiner Bedeutung gerade auch im Verhältnis zu anderen Medien erfahren hat und damit eine Vergleichsmöglichkeit für Kontinuitäten wie auch Veränderungen bietet. Denn wie es der Medientheoretiker Friedrich Kittler bereits beschrieb, werden bestehende Medien von neu aufkommenden nie abgelöst, sondern leben vielmehr einerseits in diesen unter veränderten Bedingungen weiter und werden andererseits selbst in ihrer Beschaffenheit, Verwendung und Bedeutung rückwirkend neu konfiguriert.

Eine Qualität, die Computer und Papier heute verbindet, ist ihre nahezu allgegenwärtige Verfügbarkeit. Sie sind sozusagen grundlegende Readymades jedweder künstlerischen Produktion, und sei es nur in der Form, dass sie das Wissen, von dem aus ein künstlerisches Subjekt agiert, über die Bilder und Informationen, die durch sie zirkulieren, konfiguriert haben. Oder anders gesagt: 2019 ist jede Kunst post-Internet. Ein wesentlicher Unterschied liegt hingegen in der doppelten Materialität des Computers, die sich aus dessen Aufteilung in physische Hardware und digitale Software ergibt und damit ein eigenes Spannungsfeld erzeugt. Dabei wurden die ersten Programme zur visuellen Gestaltung, deren direkte Nachfolger auch heute noch die Industriestandards darstellen, in ihrer Funktionsweise dem Arbeiten mit Papier nachempfunden. Sie haben so in der Verschränkung des virtuellen Papiers mit der Hardware des Computers zu neuen bildgebenden Möglichkeiten geführt.

Diese wurden bereits früh von Albert Oehlen und Laura Owens aufgenommen: Während Albert Oehlen seine Computerbilder in den frühen 1990er-Jahren begann, verwendete Laura Owens ähnliche technische Mittel als Ausgangsmaterial ihrer Arbeit bereits als Studentin am CalArts in Los Angeles. Charakteristisch ist für ihre Arbeiten zudem stets, dass sie nicht nur die technologischen, sondern auch kontextuellen Bedingungen ihrer Produktion und Zirkulation reflektieren, etwa indem Elemente der Ausstellungsorte in die Arbeiten mit aufgenommen werden. So dokumentierte sie auch in der ihre Ausstellung im Whitney Museum begleitenden Publikation die Entwicklung ihrer künstlerischen Laufbahn anhand von digitalen wie physischen Skizzen, aber auch Notizen, Faxen, Telegrammen und E-Mails mit GaleristInnen, KuratorInnen und befreundeten KünstlerInnen. Eine ähnliche Dimension der Selbstreflexion findet sich auch in den Arbeiten Avery Singers, die ihre Praxis ebenfalls im Dialog zwischen digitaler Bildfindung und malerischer Materialisierung entwickelt. Von ihrer ersten derart entstanden Arbeit ("The Studio Visit", 2012) bis hin zu neueren, derzeit auf der Venedig Biennale ausgestellten, verhandelt sie dabei auch immer wieder die Frage nach ihrer eigenen künstlerischer Subjektivität mit Blick auf die Art und Weise, in der jene durch technologische Bedingungen und soziale Konventionen geformt wird. Diese Elemente sind auch eine Kontinuität in der künstlerischen Arbeit Thomas Baldischwylers. Material seiner Arbeiten sind dabei stets Genealogien von Wissen, Praktiken und Bildern, deren materielle Verknüpfung sowie die Bedingungen ihrer Sichtbarkeit und Durchsetzung. Dabei geht er zumeist subkulturellen oder marginalen historischen Narrativen nach und gibt diesen in seinen Ausstellungen einen neuen Möglichkeitsraum. Ähnlich verfahren auch Soyon Jung und Felix Thiele, die bereits Anfang des Jahres gemeinsam in ihrer Ausstellung Death Hoax versucht haben, in der Verschränkung von traditionellen und aktuellen Mitteln wie Radierung und digitaler Animation ein utopischer Potential zu erzeugen, um abseitige Wege heraus aus unserer breiten Gegenwart aufzuzeigen. Diese Balance zwischen Affirmation und kritischer Distanz ist entscheidend für alle KünstlerInnen dieser Ausstellung: Sie vermeiden es, weder einem das Zeitgenössische ablehnenden Traditionalismus noch einer Fetischisierung der aktuellen techno­logischen Kondition zu verfallen. Sie erkennen vielmehr ihre Gegebenheit an und versuchen im Umgang mit ihr neue Zwischenräume zu schaffen.

- Roy Huschenbeth