Bonnie Camplin im Kunsthaus Glarus

Bonnie Camplin, Bonnie Camplin – EPIC TIME, 2018, Ausstellungsansicht, Kunsthaus Glarus, Schweiz

Kunsthaus Glarus

Im Volksgarten, 8750 Glarus
Schweiz

KünstlerIn: Bonnie Camplin

Titel: EPIC TIME

Datum: 27. Mai - 19. August 2018 

Fotografie: Courtesy Kunsthaus Glarus | Foto: Gunnar Meier

Pressetext:

Die Ausstellung EPIC TIME ist eine imaginäre Erkundung in verschiedene Richtungen. Einzelne Werke setzen sich wie in einem Puzzle zu einem grossen Ganzen zusammen. Es bildet sich ein komplexes Netz aus inhaltlichen und visuellen Bezügen. Dieses unsichtbare System erschliesst sich über verschiedene ‹Zugangspunkte›, die wiederum jeweils eine Verbindung zu allen anderen (Zugangs)punkten - oder Werken - dieser Anordnung ermöglichen. Es ergibt sich eine Struktur, ähnlich einem neuronalen Netzwerk, die verschiedene Realitäten und Figuren verbindet. In unterschiedlichen Medien umkreist Bonnie Camplin (*1970, lebt und arbeitet in London) universelle und komplexe Themen, die grundsätzliche Fragen des Menschseins (und des Künstlerseins) betreffen. Ein Gespräch mit der Künstlerin über das Prinzip des Epischen, Vorahnungen, weibliche und männliche Archetypen, das Altern und andere Zeitlichkeiten – und die Handlungsmacht von Kunstwerken.


Judith Welter: Innerhalb der aktuellen Ausstellung überschneiden sich verschiedene räumliche und zeitliche Geometrien. Was ist das Prinzip EPIC TIME? Was verbirgt sich hinter dem Begriff «Epische Zeit»?

Bonnie Camplin: Einem Freund von mir ist aufgefallen, dass ich immer aus der Perspektive der Tiefenzeit denke: Aus einer Perspektive dessen, was vor abertausenden Jahren war – oder daraus hervorgegangen ist. Ich verorte mich nicht irgendwo zwischen Industrialisierung und 21. Jahrhundert, sondern vielmehr irgendwo zwischen dem, was vor hunderten und tausenden von Jahren einmal war, und dem was sein wird – in der fernen Zukunft. Tiefenzeit hat mit dem Handlungsspielraum zu tun, in den man sich als Mensch wiederfindet. Es geht darum, wie man sich selbst in der Welt verortet, und wie sich die eigene zeitliche Reichweite gestaltet. Das Epische verweist auf Zyklen und Zeitspannen.

Das Epische ist an sich auch eine ganz humorvolle Angelegenheit. Es sprengt einfach das eigene Vorstellungsvermögen. «It has been epic»: Es war jenseits meiner Vorstellungskraft, grösser als ich. Es ist eine Art und Weise, deine Gegenwart innerhalb einer epischen Dimension zu kontextualisieren. Wenn man so will, ist es Teil eines grossen Dramas. Vielleicht erst in den nächsten fünf, zehn, oder zwanzig Jahren werden wir Wissen, warum gewisse Dinge heute passieren. Möglicherweise fügt sich die Gegenwart nur zu einem sinnvollen Ganzen, wenn wir sie aus der Zukunft heraus betrachten? Es kann recht lange dauern, bis wir die Gesetzlichkeit dessen verstehen, was um uns herum passiert. Anders gesagt: Man muss erst das ganze Lied gehört haben, um seinen Rhythmus zu durchblicken. Wenn du jung bist und es mal bergab geht denkst du, dass es nie wieder aufwärts gehen wird – denn du hast den Rhythmus des Liedes noch nicht verstanden. Wenn du aber schon etwas älter bist, hast du ein besseres Gespür für Zyklen. Ich denke, das ist es eigentlich was mit «Weisheit» gemeint ist. Diese kann man sich nicht aus Büchern anlesen, sondern muss sie über die Dauer des eigenen Lebens erfahren. Ich finde es faszinierend, dass man aus Lebenserfahrung Energie schöpfen kann, denn normalerweise nimmt man ja an, dass Altern entropisch ist. Dieses Bild des Alterns als Entropie ist meiner Meinung nach ein Produkt kapitalistischer Propaganda. Beim Prozess des Alterns geht es darum, ins nächste Level aufzusteigen. So gesehen birgt das Prinzip von EPIC TIME ein energetisches Potential. Es ist sozusagen eine ‹Zugangstechnologie›, die mit Syntax zu tun hat. Wie die rhythmische Struktur eines Liedes, die sich dir erschliesst, sobald du weisst, was als nächstes kommt.

JW: Es scheint, als würden einzelne Werke – wie auch die Ausstellung insgesamt – Zeit, oder vielmehr unterschiedliche Temporalitäten sichtbar machen. Deine Zeichnungen, Fotografien und Collagen haben etwas Zeitloses, aber lassen sich gleichzeitig in der Ästhetik einer bestimmten Zeit, eines Zyklus, oder einer Periode lokalisieren. Du sprichst von «the 1970s, 80’s, 90’s, the Noughties and Now-Time; aesthetic loop-the-loop-listening to the deep distant past, the zooming of far-future aeons.» Was bedeuten diese spezifischen Zyklen für dich?

BC: Diese Jahrzehnte sind eng mit meiner persönlichen Biographie verknüpft. Darüber hinaus dehnt sich ihre Reichweite aber weit in die ferne Zukunft und Vergangenheit aus. Für mich gibt es hier ein paar ganz bestimmte Zugangspunkte. Beispielweise eine ägyptische Hieroglyphe im Stil der 1970er. Ich fühle mich definitiv von bestimmten Ästhetiken verschiedener Zeiten meines Lebens angezogen. Aber auch wenn meine Zeichnungen mit bestimmten zeitspezifischen Stilen verbunden sind, folgen einige davon einer präkognitiven Logik – beispielsweise die Zeichnung Aerogel in Boots (2012). Vor ein paar Jahren habe ich die Feststellung gemacht, dass mir meine zeichnerischen Linien mit sehr viel mehr Sicherheit von der Hand gehen, wenn ich mich dem Ungewissen öffne. Vielmehr, als wenn ich etwas zeichne, das direkt vor meinen Augen liegt. Ich bin viel besser darin, Zukunftsahnungen einzufangen, als die sichtbare Realität um mich herum. Mein ganzes Leben lang hatte ich solche Vorahnungen, nur habe ich sie früher als imaginative, psychedelische, erfundene Formen abgetan. Bis mir irgendwann klar wurde, dass es sich dabei um Beobachtungs-Aufzeichnungen handelt – flüchtige Einblicke in künftige Ereignisse. Es waren nicht einfach nur erfundene Bilder.

JW: Bewusstseins- und Realitätskonzepte sind Themen, die im Zentrum deiner Arbeit stehen. Du erforschst, wie wir mit unserer materiellen Situation – auch Menschen und nichtmenschlichen Akteuren – in Bezug treten und sie wahrnehmen. Wörtlich genommen, legt der Titel EPIC TIME eine erzählerische Lesweise deiner Ausstellung nahe. Vielleicht ähnlich einer Geschichte, die zugleich fantastisch und unheimlich ist, menschlich und nichtmenschlich – wie das ideelle Universum Philip K. Dicks, der sich mit ähnlichen Fragen beschäftigt hat. Im Werk Philip K. Dicks geht es ebenfalls um spezifische Zeitlichkeiten: Einerseits ist sein Werk in der Epoche verortet, in der es entstanden ist. In diesem Sinne legen seine Bücher von der amerikanischen Gesellschaft der 1950er bis 80er Jahre Zeugnis ab. Andererseits aber war Dick daran interessiert, eben diese Beobachtungen seiner Zeit – menschliches Verhalten, Glaubensmodelle, und ganz konkret seine persönlichen Erfahrungen – in künftige, vorwiegend dystopische Welten zu projizieren. Dick zeichnete einen Zyklus in der Geschichte der Menschheit, der von der Suche nach persönlicher und kollektiver Erlösung angetrieben ist, und interessierte sich beispielsweise für gnostische Konzepte, die auf uralte Kulturen zurückgeführt werden können. Eine andere Zeitlichkeit in seinem Werk ist darüber hinaus durch seinen exzessiven Amphetamin-Konsum bedingt, welcher seine Arbeitsgeschwindigkeit determinierte und es ihm erlaubte, bis zu achtzig Seiten am Tag zu schreiben. Welches Narrativ entspinnt sich in deiner Ausstellung? Welche Zeitlichkeit liegt deiner Arbeitsweise zugrunde?

BC: Das bestimmende Narrativ meiner Ausstellung ist meine kontinuierliche Auseinandersetzung mit spekulativer Science-Fiction. Als Haupthandlungsstrang könnte man die Abenteuer einer kriegerischen Prinzessin bezeichnen. Eine der Zeitlichkeiten hat mit meiner eigenen Biographie zu tun. In zwei Jahren werde ich fünfzig. In meiner Arbeit erforsche ich Schnittstellen zwischen dem Physischen und dem Metaphysischen. Mein Lernprozess wie auch meine Forschungen haben sich im letzten Jahr intensiviert. Mir wurde klar, was es mit der Hexenverfolgung auf sich hatte, insbesondere mit der Ausrottung der «Crones» [gealterte, weise Hexen], denen man erweiterte kognitive Fähigkeiten zusprach. Das eigene Verständnis der Tragweite eines Zyklus vermag sich exponentiell zu erweitern – wie bei einer Fibonacci- Spirale. Ich begann mich mehr mit Astronomie und Astrologie auseinanderzusetzen. Jede Form der Elektrizität hat mit Zyklen zu tun; unsere Planeten bewegen sich auf geometrischen Kreisbahnen...

Seit einiger Zeit beginnt sich mir ein kohärentes Bild der Struktur und Funktionsweise der Realität zu erschliessen. Als hätte ich eine Initiation in dieses neue Wissen erfahren.

Die Geometrien der gezeigten Arbeiten sind Teilansichten meiner persönlichen Kosmologie. Jene erlaubt es mir, über den Tellerrand zu blicken und unsere Realität anders zu sehen, als aus der Perspektive dessen, was gerade Konsens ist. Ein bisschen wie bei Powers of Ten, einem Film des Büros Charles und Ray Eames aus dem Jahr 1977, der ursprünglich für IBM gemacht wurde. Im Stil eines Lehrfilms zeigt er äussere wie auch innere Raum-Perspektiven auf. Wenn man dasselbe Prinzip auf die Dimension der Zeit anwendet, so werden neue Möglichkeiten erahnbar – was sehr erbaulich ist.

JW: Was ist Invention? Was passiert, wenn eine (künstlerische) Erfindung gemacht wird?

BC: Ich verstehe Invention als ein Streben nach Informationen, die lebenswichtig sind. Es kann passieren, dass du eine Form schaffst, die sogar dich selbst überrascht. Doch handelt es sich dabei nicht nur um arbiträre Neuheit oder Neuartigkeit. Sie muss vielmehr Träger von Informationen sein. Lediglich neue Formen schaffen und neue Ideen einbringen – das kann Jeder. Im vergangenen Jahr bin zur Einsicht gelangt, was Invention eigentlich ist. Ich selbst bin psychedelisch veranlagt – ich kann einfach so eine lustige, neue Sache nach der Anderen produzieren. Bedeutung aber haben diese Dinge nicht unbedingt. Meine Schlussfolgergung: Invention findet statt, wenn man etwas lokalisierst, das für das Überleben nützlich ist.

JW: In den letzten Jahren entstand ein geheimnisvoller, fantastischer und gleichzeitig formelhafter Bildkosmos. Dieser widerspiegelt die subjektive Durchdringung von konstruierten Realitäten, wie sie etwa durch experimentelle semiotische und syntaktische Systeme bestimmt werden. Abstrakte Muster, Geometrien, schematische und organische Formen ergänzen sich. Anderseits sind viele deine Zeichnungen von Figuren bewohnt: Mysteriöse Männer, die spitze Hüte tragen, oder einer rätselhaften Mission nachgehen. Immer wieder taucht ein sonderbarer Geselle auf, dessen Gesicht vermummt ist; eine schematische Figur, eine junge Frau, auf deren T-Shirt das Wort «RA» steht; eine Person, die eine Ananas vor sich trägt, als sei sie ein Baby. Wer sind diese Gestalten? Wie ist ihre Verbindung zueinander? Sind sie die zuvor genannten ‹Zugangspunkte›?

BC: Es gibt eine weibliche Figur, die immer wieder in einer klassischen Yoga-Pose auftaucht: einer tiefen Hocke. Diese archetypische Hüftöffnungspose symbolisiert Zugang und wird mit einer zukunftgerichteten Bewegung nach vorne assoziiert. Sie ist mit weiblicher Sexualität und Zukünftigkeit verknüpft. Eines meiner Werke trägt den Titel: Every Woman has a Stargate in Her Knickers (2018). Hier greife ich wieder auf eine Art Hexen-Weisheit zurück – nämlich die Vorstellung, dass sich zwischen den Beinen einer jeden Frau ein Tor zu den Sternen befindet. Sex als hellseherische Praxis! Es handelt sich also nicht um ein Verständnis weiblicher Sexualität, das auf Reproduktion beschränkt ist, sondern um eine viel technologischere, hellseherische Haltung gegenüber Sex (die wiederum ihre eigenen Implikationen hat). Wofür ist Sex noch gut, wenn du deine reproduktive Phase bereits überschritten hast? Warum kann man Sex auch dann noch geniessen, auch wenn er keine darwinistische Funktion mehr hat? Die Implikationen dieser Fragen betreffen den Sinn unserer Existenz überhaupt: Man wird geboren, um zu erfahren, wie es ist, am Leben zu sein, nicht um «seine Gene zu verbreiten». In diesen Gedanken steckt gewisser Weise eine implizite Kritik an neo-darwinistischer Theologie. Die Yoga-Hocke ist eine archetypische Figur der Selbstöffnung – der Öffnung deines Blickwinkels und deiner Auffassungsgabe. Wenn du deine Aufmerksamkeit auf diese Form fokussierst, so tauchst du in ein Spektrum alternativer Realitäten ein – und hierin besteht die sigilistische Dimension von künstlerischer Praxis: Man entwirft buchstäblich neue Realitäten – neue Möglichkeitsräume.

Was meine Figuren angeht – diese haben alle einen Bezug auf meinen eigenen Kosmos, aber stellen auch Bezüge zur Kunstgeschichte her und könnten tatsächlich als Zugangspunkte bezeichnet werden. Die hockende Frauenfigur Squatter-She-Logo (2018) zum Beispiel stellt morphologische Zusammenhänge her, die mich interessieren. Wie ich kürzlich erst erfahren habe, hat sich der Künstler A.R. Penck ebenfalls für die Ähnlichkeiten zwischen 8-Bit-Technologie und prähistorischen Petroglyphen interessiert. Er war fasziniert von den archaischen Formen früher Computergrafik und wie sie auf seine eigene Gegenwart Bezug nahmen. Bit-Technologie basiert auf einem binären Zahlencode und geht auf den Urarchetyp ‹Licht versus Dunkelheit› zurück. Ja oder nein; ein oder aus. Alles existiert in einem potentiellen Zustand von ‹ja oder nein›. Um noch einmal auf Squatter-She-Logo zurückzukommen: Diese Figur hat mich tatsächlich wie von selbst heimgesucht: Eines morgens wachte ich auf und sah diesen reinen Archetypen vor meinem inneren Auge. Ein Archetyp, der völlig schamlos und zugleich offenherzig ist, sowohl in emotionaler, als auch in intellektueller Hinsicht. Und hier schliesst sich der Kreis zu unserer heutigen Lebensrealität: Frauen unter dreissig trainieren heute bis zum Umfallen «Squat»-Posen. Nicht nur, weil diese Übung einen schönen Hintern formt, sondern auch, weil diese Position sich irgendwie existentiell ‹natürlich› anfühlt. Momentan ist zum Beispiel «Body Odyssee« als ein Trend (und Glaubenssystem) im Kommen, das Frauen dazu anspornt, Kraft, Fitness und Gesundheit – und die Potentiale des eigenen Körpers – in der Tiefe zu erforschen.

Die Charaktere meiner Ausstellung repräsentieren eine Reihe von Signalen, die mich durch verschiedene Kanäle erreicht haben. Sie stehen für eine Palette unterschiedlicher Emotionen, sowie Zustände des Codierens und Verbergens. Eine Figur trägt den Namen «RA» auf ihrem Hemd. Sie steht für den Aspekt der Kriegerin. Und sie ist irgendwie auch eine Analytikerin. Sie bewegt sich durch den Raum, wobei sie den Raum durchmisst und aktiv neue Wissensdimensionen erschliesst. Die männlichen Charaktere stehen für Maskulinität als einem Mysterium – statt die in der Misandrie eingebettete Vorstellung, dass diese lediglich «a pain in the ass« sind. Diese Perspektive interessiert mich. (Ich identifiziere mich mit ihr und liebe Männer).

JW: Deine Arbeit verbindet Aspekte der Wahrnehmungstheorie, Forschung, Schriften unterschiedlicher Glaubenssysteme, sowie deinen persönlichen Erfahrungsschatz, auch wenn diese Referenzen für das Auge der Betrachter nur fragmentarisch und kryptisch bleiben. Es geht aber auch um den Prozess des Kunstmachens an sich. Kunst ist kein geschlossener Kreislauf, sondern eine Strategie, durch die neues Wissen erschlossen werden kann. Wie instrumentalisierst du deine Kunstpraxis?

BC: Wenn man so will, sind meine Werke nichts anderes als Detailausschnitte aus meinem ganz persönlichen Vektor, auf dem ich mich durch die Raumzeit bewege. Sie dienen mir sozusagen als Studienmaterial. Im Kontext der aktuellen Ausstellung haben wir den Begriff der «Erkundung» benutzt. Damit meine ich ganz einfach, dass die Ausstellung von der Frontlinie einer subjektiven Erfahrung berichtet. Die grundlegendste Modalität von Forschung besteht darin, Materialien in ein Objekt einzuarbeiten: Das Ritual des Artefakts. Das Prinzip der Kreativität ist an sich transduktiv und das Kunstwerk ist ein Instrument der Kalibrierung der eigenen Beziehung zum Universum (oder zu einer bestimmten Situation). Ein Kunstwerk zu produzieren, bedingt auch das Wesen des Materials und des künstlerischen Schaffens zu erforschen. Insofern operiert das Artefakt als eine gnostische Modalität. Gnosis hat mit tiefem verinnerlichtem Wissen und Verstehen zu tun, im Unterschied zu einer Akkumulation von Fähigkeiten, Techniken, Fakten und Behauptungen. In unserem gegenwärtigen System ist diese Sichtweise unterentwickelt. Gnosis strebt nach einer Wiedervereinigung mit der grenzenlosen Intelligenz, nach der Verschmelzung mit Natur und Erde. Es geht letztlich darum, das Universum zu verstehen, indem man den Blick nach innen auf sich selbst wendet und sich einem lebenslangen Projekt des Strebens nach Wissen verschreibt.

JW: Der Ausstellungsraum legt oft eine bestimmte Lesweise von Kunst nahe. Ausserdem gibt es einen potentiellen «Double-Bind»: Die Kunstwerke beziehen sich auf deine eigene Subjektivität und jene der Betrachter.

BC: Der Betrachter deutet die ausgestellten Exponate als Kunst und diese sind somit sicher eingefasst und verwaltet. Man kann von einem Betrachter sprechen, oder aber von einem Zeugen. Ich tue letztlich nichts Anderes, als die Nebenprodukte meiner Recherche zu präsentieren, weil ich dazu eingeladen wurde.

Sollen wir uns über Zugänglichkeit unterhalten, und die Arten und Weisen, wie ein Ausstellungsraum Zugang verunmöglichen kann – aufgrund der Tatsache, dass er, was sich darin befindet, als Kunst rahmt?

JW: ...oder wie er Zugang öffnen kann!

BC: Wenn ich von mir selbst spreche – als jemandem, der ab und zu Kunst anschaut – kann ich nur sagen, dass ich normalerweise zweimal wiederkommen muss, um mir einen Zugang zu den ausgestellten Werken zu erschliessen. Man könnte es eine Methode der ‚Triangulation’ nennen.

JW: ... Und so kommen wir zurück zum Begriff der Zeitlichkeit.

BC: Man bleibt nur, wenn man sich angezogen fühlt. Wenn man sich irgendwie bezwungen fühlt. Hier geht es um die Qualität der Aufmerksamkeit. Wenn es eine Muster-Kohärenz gibt, dann ist Zugang per se möglich – denn das Kunstwerk hat das Protokoll zu seiner Erschliessung implizit mit im Gepäck.